Quellen zur Geschichte der Juden in der Mark Brandenburg (1273–1347)

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Brandenburg 1, Nr. 118

1344 September 9, Soldin

Markgraf Ludwig der Ältere erteilt den Juden der Neumark ein Privileg (1): er nimmt alle Juden, die im Land jenseits der Oder leben (de wyßen boscheydenen luden allen Juͤden c (2) over Oder, (3) vse [!] leven kamer knechte), in seinen Schutz (frede vnd boscherminge) und gibt ihnen nachstehende Rechte:

[1] Fleisch und weitere Lebensmittel können zum Eigengebrauch (to erer nothorft) erworben werden, diejenigen, die die Juden nicht verwenden werden (welke spize edder fleiß en nicht bqueme [!] ßie dat gekofft hebben vnde nicht eten mogen) (3), dürfen sie uneingeschränkt (ane rede (4) vnde schult) verkaufen. (5)

[2] Die Juden sollen nicht vor dörfliches Schulzengericht gezogen werden, zuständig sind die Richter der Stadt (!), in der sie leben (dar se Inne geseten ßin); andernfalls richten der Markgraf und seine Vögte.

[3] Im Falle einer Eidesleistung soll diese vor der Synagoge oder anderen Häusern (vor ere schole edder vor ere huseren) (6) der Juden stattfinden und auf den Tanach, also die Hebräische Bibel, erfolgen (dar scholen ße ere buͤck bringen vnd nicht forder vnde scolen en dar recht don vnde scolen ere buck nicht forder draghen).

[4] Pfand, das sie am Tag (by sunnen schyne) nehmen, soll nicht Grund für eine Anklage sein; bei Nacht genommenes Pfand, für dessen Annahme es Zeugen aus der Nachbarschaft gibt (by nachte mit withschap erer neyber bauen vnde nedden), soll ebenfalls nicht Grund für eine Anklage sein.

[5] Wenn wegen Körperverletzung (vmme liticht) (7) Anklage gegen Juden zu erheben ist, setzt dies die Zeugenschaft zweier Christen und zweier Juden voraus. (8)

[6] Versicherung der Exemtion von geistlichem Gericht ohne Beteiligung des zuvor genannten weltlichen Gerichts (Ock schal ze keyn pape laden edder boschuldigen vmme (9) withlike, ane vor dem rechtere der stad dar ze Inne wanen edder vor uns edder vor vnsere vogede).

[7] Die Pfandnahme und der darauf folgende Weiterverkauf von Pferden, Kleidungsstücken und Korn sind auch ohne Abführung der sonst üblichen Abgaben (scholen vns dar vor keyn schot geuen effte plege) hierauf erlaubt, auch eine Anklage wegen des erlaubten Vorgehens ist nicht statthaft. (10)

Datum Soldin anno domini M° CCC° XLIIII° feria quinta post Nativitatem gloriose virginis Marie.

Zeugen: Wolfstein (11), Bortuelth, De Osth (12) milites, Hasso senior. (13)

(1) Überschrift: Gra[tia] Judeis tra[n]sodera[m].

(2) Das c ist gestrichen.

(3) In dem verkürzten Begriff over Oder findet sich eine Entsprechung zur anderweitig vorkommenden Bezeichnung terra trans Oderam oder Mark obir Oder.

(3) Gemeint sind Fleisch und weitere Lebensmittel, die nicht die Kriterien der Kaschrut für Koscheres oder Parves erfüllen.

(4) CDB: vede

(5) Die Bestätigung von 1420 (###CP1-c1-02lz###) kennt einen weiteren Passus, der das Schutzverhältnis zwischen Juden und Markgrafen unter Berücksichtigung der Stadtgemeinden spezifiziert (Sello, Judenprivileg (1879), S. 25 f., § 1a, dort bezeichnet als Vorlage E).

(6) Ob es sich bei den hier angeführten Häusern tatsächlich um städtische Wohnhäuser (Sello, Judenprivileg (1879), S. 41) handelt, ist unklar. Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, dass mit den Häusern weitere gemeindliche Einrichtungen der ansässigen Juden beschrieben sein könnten.

(7) Andere Überlieferungen und ein bayerisches, von Sello zur Vergleichszwecken angeführtes Schriftstück bezeichnen den Begriff als: betichte, bytich, geruchte, bruche oder intzicht, der niederdeutschen Phrase Ock magh se keyn ma[n] boschuldigh[e]n v[m]me liticht […] steht der lateinische Passus Ceterum vero (non) debent conveniri coram nobis vel nostris iudicibus pro aliquibus violenciis, causis vel culpis […] gegenüber (vgl. Sello, Judenprivileg (1879), S. 26, § 7). Dass die Begriffe in ihrer Bedeutung voneinander deutlich abweichen können, hob schon Sello, Judenprivileg (1879), S. 57, hervor.

(8) Die Bestätigung des Privilegs durch Markgraf Friedrich I. von 1420 (###CP1-c1-02lz###) führt ergänzend eine Pfandrechtsbestimmung aus (Sello, Judenprivileg (1879), S. 26, § 7a, dort bezeichnet als Vorlage E).

(9) Spätere Einfügung in der hier bearbeiteten Archivalie: wertlike sake - Gercken - und so auch, unter Auslassung von withlike - wiedergegeben im CDB.

(10) Zu den in anderen Vorlagen bekannten Schutzbestimmungen, Erläuterungen zur Schutzbedürftigkeit der Juden und der Deklaration als lediglich zur Kammer und zu den "Sachen" des Markgrafen finanzielle Leistungen beitragend ist die Quellenkritik bei Sello, Judenprivileg (1879), S. 27, § 9a, zu konsultieren.

(11) Möglicherweise Albrecht Wolfsteiner; vgl. BR01, Nr. 109.

(12) Wohl von der Osten.

(13) Wohl Hasso von Wedel der Ältere; vgl. BR01, Nr. 109 und die Anmerkung zur Zeugenliste bei Sello, Judenprivileg (1879), S. 27. Dass bei der Häufigkeit des Namens während der ersten Hälfte des 14. Jh. die Identifizierung der entsprechenden Person erschwert ist, illustriert die Stammtafel bei Wrede, Grenzen (1935), zw. S. 40 und 41.

Überlieferung:

Berlin, Geh. StA Preußischer Kulturbesitz, I. HA, Rep. 78a, Kurmärkische Lehnskanzlei, Nr. 5a, fol. 45r/v, Abschr. (Registereintrag), dt.

  • Sello, Judenprivileg (1879), S. 25–27;
  • CDB 1, 24, Nr. 64, S. 35;
  • CDB 1, 24, Nr. 59, S. 32 f. (mit irriger Datierung 1341).
  • Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer 5, Nr. 4297, S. 334 (richtig datiert), und Nr. 4295, S. 334 (mit irriger Datierung 1341);
  • Stern, Quellenkunde (1892), Nr. 276, S. 23;
  • Zum Codex diplomaticus, S. 23 (richtig datiert) und S. 22 (mit irriger Datierung 1341);
  • Regesta historiae Neomarchicae 1, S. 161 f. (richtig datiert) und S. 155 (mit irriger Datierung 1341).
  • Maier, Tätigkeitsfelder (2010), S. 59;
  • GJ 2, 1, S. 104;
  • Heise, Juden (1932), S. 55, 58, 66–70 und 77 f.;
  • Tschirch, Geschichte (1928), S. 196;
  • Ackermann, Geschichte (1906), S. 16 f.;
  • Sello, Judenprivileg (1879), S. 21–27, 33–35, 41–44, 55–57 und 63–65.

Kommentar:

Alle Quellenzitate folgen der Archivalie Berlin, GStA PK, I. HA, Rep. 78a, Nr. 5a, fol. 45r/v. Die Archivalie entspricht überwiegend der bei Sello, Judenprivileg (1879), S. 25, angeführten Vorlage A (sog. copiarium neomarchicum I) mit Ausnahme der in A fehlenden Datierung (Sello, Judenprivileg (1879), S. 34), die in der hier bearbeiteten Archivalie klar ist. Dennoch liegt - das machen dialektale Unterschiede klar - nicht die von Sello als Vorlage B bezeichnete Abschrift vor, auch wenn diese korrekt datiert ist.

Eine belastbare Begründung der Datierung auf 1344 bei zeitgleichem Ausschluss einer Datierung auf 1341 liefert bereits Sello, Judenprivileg (1879), S. 33 f., eine weitere Zusammenfassung des bis dahin relevanten Foschungsstandes zu dieser Frage bei Heise, Juden (1932), S. 67. Die Erwägungen bei Caro, Sozialgeschichte 2 (1920), S. 162 und 165, gehen von einer Ausstellung des Privilegs 1341 aus und haben ihrerseits zur Manifestierung dieses irrigen Datums beigetragen.

Wohl als Ergänzung des Privilegs ist die Erlaubnis, weitere Juden aufnehmen zu dürfen, von 1350 April 6 anzusehen (###CP1-c1-02lx###).

Bestätigungen des Privilegs erfolgten in den Jahren 1350 - in lateinischer Sprache und etwas ausführlicher (###CP1-c1-02ly###) – und 1367 (###CP1-c1-02lw###) sowie – in Abwandlung - transsumiert unter den ersten Hohenzollerschen Markgrafen 1420 (###CP1-c1-02lz###) und wohl 1440 (###CP1-c1-02m0###). Siehe hierzu: Heise, Juden (1932), S. 67, und Sello, Judenprivileg (1879), S. 25.

(jrc.) / Letzte Bearbeitung: 10.04.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2013, BR01, Nr. 118, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/BR01/CP1-c1-01x7.html (Datum des Zugriffs)

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