Quellen zur Geschichte der Juden in Westfalen

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Westfalen 1, Nr. 24

1298 [vor Juli 3]

Heinrich von Herford berichtet in seiner bis 1355 reichenden Chronik zum achten Regierungsjahr König Adolfs (octavo anno regni sui) (1): Gleichsam wunderbar und erbärmlich wurde in diesem Jahr Robert, ehemals Kanoniker und Scholaster der Soester Kirche (2), der vom Glauben abgefallen war, zur Strafe durch ein göttliches Feuer verschlungen. Der angesehene Mann war in Bosheit verfallen, ließ sich beschneiden, trat zum Judentum über (iudeis asociatur) und lebte in Frankfurt (Vrankenvord) viele Jahre lang als Jude (iudaizans sordescebat). Als er schließlich gestorben war, legte man ihn in ein einfaches Behältnis und ließ ihn auf einem ärmlichen und dreckigen Karren, gezogen von einem alten Gaul, durch einen armen Landarbeiter (rusticellus) unauffällig über die Brücke aus der Stadt zum Begräbnis führen. Als der Karren auf die Brücke kam, fragte ein leichtfertiger junger Mann, einer von den vielen, die sich dort zum Spielen versammelten, was der Landarbeiter da mit sich führe. Als dieser antwortete, dass ihn das nichts anginge, kam es zu einem Wortgefecht, in dessen Verlauf der junge Mann einen Dolch zückte und damit in das Behältnis stach, in dem der Leichnam verwahrt wurde. Sogleich schoß aus dem Einstichloch eine schreckliche Flamme, woraufhin die Umstehenden und Herbeilaufenden erschraken. Als der Bauer daraufhin eröffnete, was er in dem Behältnis mit sich führte, stürzte der Wagen um und das Behältnis mit dem Leichnam stürzte ins Wasser. Dennoch erlosch das Feuer nicht. Vielmehr wurde der Leichnam mitsamt dem Behältnis vor aller Augen vom Feuer verzehrt, sodass fast nichts mehr übrig blieb. Die Gläubigen rühmten Gott in seinen Wundern; die Juden dagegen insinuierten den Einfältigen, dass dieser nicht nach dem Gesetz gelebt habe.

(1) Kg. Adolf starb bereits zu Beginn seines siebten Regierungsjahres (1298 Juli 2). Heinrich von Herford bezog sich offenbar auf eine fehlerhafte Vorlage, sodass er auch andere Ereignisse nicht korrekt datierte; vgl. WF01, Nr. 22. Dagegen gibt er korrekt an, dass in demselben Jahr, dem vierten Jahr Papst Bonifaz' VIII., der Liber sextus promulgiert wurde (1298 März 3).

(2) Nach WJ 1, Nr. 38, S.63 f., Anm. 1 und 3, ist an St. Patrokli in Soest für die Zeit von 1288 bis 1302 ein Scholaster Robert bezeugt. Da dieser jedoch nach seinem Übertritt zum Judentum mehrere Jahre in Frankfurt gelebt haben soll, ehe er 1298 verstarb, könnte es sich um eine Verwechslung mit dem gleichnamigen, von 1253 bis 1264 bezeugten Kanoniker, Thesaurar (1257) und Dekan (1258-1264) des Stifts gehandelt haben.

Überlieferung:

Wolfenbüttel, HAB, Codex Guelferbytanus 11 b Helmstadiensis, fol. 151r, möglicherweise Autograph (sicher vor 1404), lat., Perg.; zu weiteren Abschriften vgl. , S. XXXIV-XXXVI; , Heinrich (1996), S. 25-37 und 212-214.

  • WJ 1, Nr. 38, S. 63 f.

Kommentar:

Zu Heinrich von Herford vgl. WF01, Nr. 22. Während der Dominikaner Hermann Korner in seiner zwischen 1416 und 1435 entstandenen Chronik die Wundererzählung seines Ordensbruders Heinrichs von Herford leicht verkürzt wiedergibt (Hermanni Corneri cronica novella, Sp. 955), ist nicht klar, ob sich Gobelinus Person in seiner etwa 1418 fertiggestellten Weltchronik bei der Schilderung dieses Ereignisses auf Heinrich von Herford bezieht (Cosmidromius Gobelini Person, S. 68). Person ordnet dieses der Regierungszeit Papst Benedikts XI. (1303-1304) zu. Im Unterschied zur Mirakelerzählung Heinrichs von Herford erwähnt Person nüchtern - ebenso wie Heinrich im Falle des in Paris ergriffenen Lemgoer Apostaten, den Person nicht aufgreift - die Ergreifung des zum Judentum übergetretenen Soester Scholasters und dessen Feuertod in Frankfurt: Hoc anno Robertus scholasticus Sozaciensis a fide christiana declinans Iudeus efficitur et in Frankenvord apprehensus uritur. Zu Hermann Korner vgl. WF01, Nr. 22 (zu 1297 [nach Juli 15]); zu Gobelinus Person Colberg, [Art.] Person (1989), Sp. 411-415; Baumann, Weltchronistik (1995), S. 13-15, 21-23, 192-196 und 210-218. Wenn Persons Datierung zutreffen sollte, könnte es sich bei Robert tatsächlich um den bis 1302 bezeugten Soester Scholaster handeln, der dann nicht allzu lange nach seiner Konversion in Frankfurt a. M. aufgegriffen worden wäre. In freilich stark verkürzter und variierter Form geben Heinrichs Wundergeschichte im 17. Jahrhundert auch der Jesuit Nikolaus Schaten (Annales Paderbornenses 2, S. 183) und der Soester Chronist Rademacher (Ludwig Eberhard Rademacher. Annales 1, S. *15) wieder. Rademacher datiert die Konversion Roberts in das Jahr 1298, seinen Tod in das Jahr 1305.

(Jörg R. Müller) / Letzte Bearbeitung: 20.12.2023

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, WF01, Nr. 24, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/WF01/CP1-c1-00sz.html (Datum des Zugriffs)

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