Akademieprojekt auf dem „16th World Congress of Jewish Studies“

30.08.2013, in: Vortrag

Das Akademievorhaben wurde bereits im Jahre 2009 auf dem „15th World Congress of Jewish Studies“ in Jerusalem mit der Sektion „The Corpus of Sources on the History of the Jews in the Medieval Empire: An International Research Project on Jewish and Non-Jewish Memories“ vorgestellt. Ebenfalls sehr positive Resonanz unter den wiederum zahlreichen Teilnehmern, darunter weltweit führende Experten, fand die von Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Alfred Haverkamp (Mitglied im Direktorium des Trierer Arye Maimon-Instituts) initiierte und von Dr. Christoph Cluse (Referent der Geschäftsführung desselben Instituts) organisierte Großsektion „Who Protected the Jews in the Middle Ages, and Why? Relations between Jews and Bishops in Comparative Perspective“ auf dem „16th World Congress of Jewish Studies” in Jerusalem (28. Juli–1. August 2013).

Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Alfred Haverkamp
Prof. Dr. Lukas Clemens
Dr. Christoph Cluse
David Schnur
Dr. Birgit Wiedl

In der inzwischen erheblich fortgeschrittenen systematischen Erschließung und Kommentierung aller Quellen großer Teile Mitteleuropas im Corpusprojekt ergaben sich neue wesentliche Fragen über die bisher zumeist nur am Rande berührte Bedeutung der wechselseitigen Beziehungen zwischen den regional höchsten Repräsentanten der christlichen Kirche und der jüdischen Minderheit. Zu den offenen Fragen zählen die Einflüsse der Bischöfe in ihren Bistümern auf die Handhabung der geistlichen Gerichtsbarkeit gegenüber den Juden und die Einwirkung der Oberhirten auf die Einstellungen und Verhaltensweisen kirchlicher Amtsträger und Institutionen, weltlicher Herrschaftsträger und anderer Laien gegenüber den Juden und dem Judentum. Ebenso essentiell ist die Frage, wie die Juden die Bischöfe wahrnahmen und sich ihnen gegenüber verhielten. Zu klären ist besonders, ob – und gegebenenfalls wie – sich diese Konnexe änderten, wenn die Bischöfe selbst Herrschaft und Schutz über die Juden ausübten. Da die Verfügung der Bischöfe über Herrschaftsrechte innerhalb des nordalpinen Reiches sehr unterschiedlich war und sich in dieser Hinsicht dessen westliche und südliche Regionen auch stark von den Königreichen in West-und Südeuropa abwichen, sind Vergleiche besonders aussichtsreich. In der Genese dieses Fragenkomplexes ist auch begründet, dass acht der neun Referenten am Akademievorhaben mitwirken.

Den Auftakt der von Prof. Dr. Israel Yuval (Hebräische Universität Jerusalem) moderierten ersten Teilsektion bildete die Einführung in die Fragestellung und die darin verankerte Konzeption durch Alfred Haverkamp. Anschließend begründete er („Relations between Bishops and Jews in the German Kingdom [Tenth Century to c.1090])“ mit einem neuen methodischen Ansatz seine wesentlich von der bisherigen Forschung abweichenden quellenfundierten Thesen über die weit über den Einfluss der Könige hinaus gehende, auch religiös motivierte Rolle der Bischöfe insbesondere bei der Ansiedlung der Juden im Reich, also in der konstituierenden Phase des deutschen (aschkenasischen) Judentums. Im folgenden Beitrag („Bishops and Jews in 12th Century Germany“) bot Prof. Dr. Eva Haverkamp (LMU München) vornehmlich auf der Basis der hebräischen Chroniken Ephraims von Bonn und Elasars ben Jehuda von Worms, aber auch lateinischer Quellen neue Erkenntnisse über die vor allem unter dem Einfluss der Kreuzzüge und der Stadtgemeinden eingetretenen Veränderungen in den Beziehungen, in denen Bischöfe jedoch noch immer eine herausragende Stellung einnahmen. In seinem facettenreichen Vortrag über „England’s Bishops and the Jews in the Middle Ages“ zwischen der ersten Ansiedlung von Juden bald nach der Eroberung (1066) und der vom Königtum veranlassten Vertreibung der Juden (1290) gewährte apl. Prof. Dr. Gerd Mentgen neue Einblicke in die gegenüber dem Reich tiefgreifenden Unterschiede im normannisch-angevinischen Königreich. Sie äußerten sich in den im Vergleich zum Königtum wesentlich geringeren herrschaftlichen Möglichkeiten englischer Bischöfe gegenüber Juden, was einige dieser Prälaten insbesondere in Konflikten mit dem Königtum mit ihren kirchenrechtlich fundierten Kompetenzen gegen die weit überwiegend den Königen unterstellten Juden zu kompensieren suchten.

Daran schloss sich in der zweiten, von Christoph Cluse moderierten Sektion der Vortrag („Bishops and Jews in Southern Italy“) von Prof. Dr. Lukas Clemens (seit Ende 2012 mit Alfred Haverkamp Leiter des Akademieprojekts und geschäftsführender Direktor des Arye Maimon-Instituts) an. In seiner Konzentration auf das ebenfalls wesentlich – wenn auch mit starken regionalen Unterschieden – durch die normannischen Eroberungen geprägte normannisch-staufische Reich gelangen ihm aufschlussreiche Einsichten über die sehr unterschiedliche Beziehungen, in denen selbst herausragende Erzbischöfe nur in großen Krisen der Königsherrschaft einen nachhaltigen Einfluss auf die generell den Königen unterstellten Juden ausübten. Diesen Vergleichshorizont erweiterte Dr. Lucy Pick (University of Chicago), die als einzige unter den Vortragenden nicht mit dem Corpusprojekt verbunden ist, in ihrem Vortrag („Toledo and Beyond: Bishops and Jews in Medieval Iberia“). Sie zeigte in ihrer detaillierten Fallstudie über die 1085 „zurückeroberte“ Hauptstadt des kastilischen Königreichs und dessen Umland auf, dass der thematische Leitstrang der Großsektion auch auf der iberischen Halbinsel, auf der – wie in Süditalien – Juden in einigen Orten seit der Antike ansässig waren, wesentliche neue Erkenntnisse ermöglicht. Den durch diese Einblicke in strukturell anders geartete Königreiche geschärften Blick lenkte Dr. Jörg Müller (hauptamtlicher Mitarbeiter des Akademieprojekts) mit seinem Vortrag („Bishops and Jews in the West of the Empire [13th–mid 14th Centuries])“ anhand seiner eindringlichen Analysen über die Erzstifte Köln und Trier wieder in die Zentrallandschaften des aschkenasischen Judentums zurück, wo die jüdische Präsenz in der behandelten Zeit den Höhepunkt vor dem späteren 19. Jahrhundert erreichte und die Beziehungen zwischen Juden und Bischöfen trotz zunehmender herrschaftlicher Konkurrenz bedeutend blieben.

In der letzten, von Israel Yuval moderierten Sektion standen das späte 14. und das 15. Jahrhundert im Zentrum. Dr. Birgit Wiedl (Mitarbeiterin am Institut für jüdische Geschichte Österreichs in St. Pölten und zusammen mit Dr. Eveline Brugger Bearbeiterin der „Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich im Mittelalter“, womit das Corpusprojekt eng verbunden ist) wies in ihrem Vortrag („Jewish Existence in the Archbishopric of Salzburg, Thirteenth to Fifteenth Centuries“ eindringlich nach, dass die ursprünglich guten Beziehungen der Erzbischöfe zu den Juden innerhalb des Erzstifts und damit auch die Lebensumstände der Juden sich im Verlaufe des 15. Jahrhunderts dramatisch verschlechterten, was in der Vertreibung von 1498 gipfelte. Demgegenüber konstatierte David Schnur, Doktorand am Trierer Arye Maimon-Institut („The Archbishops of Mainz and the Jews of Frankfurt from the 12th until the Late 14th-Century“), mit seinen detaillierten Quellenkenntnissen, denen auch sein erkenntnisreiches Teilcorpus „Frankfurt und die Wetterau“ zu danken ist, eine seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zunehmend engere Anbindung der Juden der Reichsstadt Frankfurt an den zuständigen Diözesanbischof, so dass sich die jüdische Gemeinde Frankfurts gegen Ende des 14. Jahrhunderts sogar dem Schutz des Mainzer Erzbischofs unterstellte. Im letzten Vortrag begründete Christoph Cluse („Ecclesiastical Courts and the Issue of ‚Usury‘ in the 15th Century“) seine neue Erkenntnisse über den seit der Mitte des 15. Jahrhunderts weit stärker als zuvor gegenüber Juden erhobenen und vor geistlichen Gerichten verhandelten Wuchervorwurf und wies in seiner Untersuchung der ausgreifenden Antiwucherkampagne der 1460er Jahre ein weit gespanntes Netzwerk um den von ihm als dessen Urheber identifizierten Juristen und bayerischen Kanzler Martin Mair nach.

In dem „Concluding Panel“ wurden wesentliche Aspekte der neuen Fragestellung in der Langzeitperspektive angesprochen. Ausdrücklich begrüßt wurde die geplante Publikation der Sektionsbeiträge, die möglicherweise noch um weitere Studien vorzüglich über Frankreich ergänzt werden sollen, in englischer Fassung.

Zu erwähnen ist noch, dass mit Jörn R. Christophersen, MA, ein weiterer Doktorand des Arye Maimon-Instituts, dessen Teilcorpus „Brandenburg“ kürzlich veröffentlicht wurde, in einer von Prof. Dr. Markus J. Wenninger (Universität Klagenfurt) geleiteten Sektion einen instruktiven Vortrag über „Jewish Cemeteries and Territorial Organization in the Margraviate of Brandenburg (the Thirteenth to Sixteenth Centuries)“ hielt.

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