Sources regarding the history of the Jews in Westphalia

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Westfalen 1, Nr. 97

[um 1322], Wesel

Der undatierte Judeneid der Stadt Wesel besteht aus zwei Teilen: einem lateinischsprachigen Vorspann, der das Herkommen von den römischen Kaisern und die strenge Beachtung in ganz Deutschland hervorhebt sowie detaillierte Ausführungsbestimmungen enthält, und dem in niederdeutscher Sprache abgefassten Eidtext. Die Vorgaben zum Vollzug des Eides nennen die anwesenden Personen (Jude, Richter, Kläger, Vorsprecher) und den Ort, an dem der Eid abzuleisten ist (Synagoge). Der Jude leistet den Eid barfuß indem er seine rechte Hand bis an das Gelenk in das Buch Leviticus legt, das daraufhin geschlossen wird. Der Eid wird dem Juden vorgesprochen. Zögern oder Fehler beim Nachsprechen führen nach dreimaligem Vorkommen zum Abbruch und Neubeginn. Dafür ist dem Richter jedesmal vom Juden ein Pfand zu übergeben. Es folgen schließlich die Bestimmung, dass der Jude dem Vorsprecher für seine Arbeit ein Pfund Pfeffer oder gleichwertigen Lohn geben muss, und die Bekräftigung, dass der Eid allein mit den festgelegten bzw. nachfolgenden Worten auf das Buch Exodus zu leisten ist. Im niederdeutsch verfassten, dreiteiligen Judeneid folgen auf die Unschuldserklärung mit Anrufung Gottes und des mosaischen Gesetzes eine siebenfache Selbstverfluchung und eine Bekräftigungsformel unter Anrufung Gottes und der fünf Bücher Moses.

Incipit iuramentum iudeorum (1)

Iuramentum iudeorum a divis Romanorum imperatoribus constitutum et ex antiquis temporibus in tota terra Teutonie firmiter observatum.

Primo intret iudeus sýnagogam cum iudice et actore et exutos calcios nudus pedes [!] stet et imponat dexteram manum usque ad membrum brachii totam in librum Levitici et claudatur liber. Et incipiat clericus (2) prenarrare iuramentum iudeo, et quotienscunque iudeus hesitaverit et prenarrans ei illud tercio predixerit nec iudeus ipsum verbis secutus fuerit, tociens incipietur iuramentum et tociens porriget pignus iudici. Clerico vero prenarranti iuramentum pro labore suo dabit talentum piperis vel precium equipollens. In libro qui dicitur ebraýce Ellesmot (3) iurandum est et non in alio in hunc modum.

Diser anespraken, der di dis man tiget, der bis tu unschuldich, dat di Got also helpe, de di erde geschoýp unde den hemel uͦphoýf, ende di e, di Got selve schreýf mit sinen vingeren an ene stenen tafel, di he heren Moýsis gaf, dat he si di brechte ende allen den de da bi genesen dechten. Of du heis unrecht, des di dis man tiget, dat tu also gedies, alse Sodoma ende Gomorra daden. Of du heis unrecht, dat tu gewandelt wertz an eine saltsul, also Lotz wif dede, do si van Sodoma geinc. Of du heis unrecht, dat di die selve soýcht besta, di Iezi bestunt, heren Elýzeus knecht. Of du heis unrecht, dat din sait nummer gemenget en werde to anderen sade. Of du heis unrecht, dat di die erde vurslende, alsi dede Dathan ende Abýron. Of du heis unrecht, dat dine erde nummer gemenget en werde to anderen ertrike. Of du heis unrecht, dat din sele vurwiset werde in de nedersten dusternisse dar eingene verloýssinge in is mer die ewelike vurdomenisse. Dis eit, den du desen manne gesworen heis, de is recht ende unmeýne dat di Got also helpe ende die vinf buke Moýsis. Du bitz den Got, de da is unde eweliken wesen sal sunder ende, dat he dir also helpe to dime lesten ende, alse du desen manne recht gesworen heis; spric Amen. (4)

(1) Mit roter Tinte vorangestellt. Zum Datierungsansatz siehe Kommentar.

(2) Clericus: Darunter dürfte kein christlicher Geistlicher zu verstehen sein, wie es Bernstein, Judeneide (1922), S. 29, für den Dortmunder Judeneid vermutet, sondern eher ein jüdischer Religionsvertreter, ggf. ein Rabbiner oder ein Vorbeter.

(3) Nach dem Beginn des Buches (Schemot). Das steht im Widerspruch zu der zuerst gemachten Angabe, dass der Jude seine rechte Hand bis an das Gelenk in das Buch Leviticus legen soll. Er findet sich aber auch im Dortmunder Judeneid (WF01, Nr. 5); vgl. Bernstein, Judeneide (1922); Zimmermann, Entwicklung (1973), S. 109.

(4) Vgl. auch den Judeneid aus der Zeit zwischen 1280 und 1310 in den Dortmunder Statuten (WF01, Nr. 5) und den zwischen 1311 und 1326 verfassten Hamelner Judeneid (WF01, Nr. 58); vgl. Bernstein, Judeneide (1922), S. 25-34 und 36.

Überlieferung:

Wesel, StadtA, A 1/38,4, fol. 1r/v, Orig., lat., Perg.; ebd., A 1/38,5, fol. 9r-v (vor 1383); Duisburg, LA, AA 0640, Nr. K III 20, fol. 98v-99v (Mitte 17. Jh.).

Kommentar:

Das Ältere Bürgerbuch der Stadt Wesel beginnt auf fol. 1r mit dem Iuramentum iudeorum, es folgen dann unmittelbar der Titulus libri discretionis oppidi Weselensis (fol. 3r/v; fol. 2 fehlt bzw. ist nicht vergeben) und auf fol. 3v bis 18r die Listen der Neubürger der Jahre 1308 bis 1383 (in gleicher Reihenfolge fanden alle drei Teile auch Eingang in das Neuere Bürgerbuch: fol. 9r bis 29v). Ausgehend von der letztgenannten Zusammenstellung der Neubürger hat man früher die Auffassung vertreten, dass das Ältere Bürgerbuch um 1308 angelegt worden ist; vgl. etwa Reinhold, Verfassungs-Geschichte (1888), S. 2. Mittlerweile wird - dem Eintrag zu den Bürgerlisten des Jahres 1322 folgend (A 1/38,4, fol. 6v = A 1/38,5, fol. 13v: Anno domini millesimo trecentesimo vicesimo secundo ad burmagistratus officium electi Henricus Ledegganch et Petrus filius Gerburgis, qui utiliter providenterque hunc libellum conscribi fecerunt, sub quorum officio hii in oppidanos sunt recepti) - ein Entstehen des Älteren Bürgerbuches im Jahr 1322 angenommen; vgl. Bürgerbücher der Stadt Wesel, S. XI-XXI; Prieur, Wesel (1988).

Wenngleich ohne eingehende Analyse der einzelnen Handschriften im Älteren Bürgerbuch, die noch nicht geleistet ist, eine genauere Datierung des Judeneides nicht möglich ist und auch der Umstand, dass mit ihm die Handschrift beginnt, ohne Aussagekraft ist, weil es sich womöglich um eine Beiheftung handelt, ist eine Datierung in die Zeit der Anlage des Buches wahrscheinlich. Vgl. zur Abschrift des Judeneides im Neueren Bürgerbuch der Stadt Wesel: Kostbarkeiten aus rheinischen Archiven (1979), S. 28-30. Eine von Prieur, Wesel (1988), S. 13, Anm. 16, angegebene, weitere Abschrift des Judeneides in Köln, HAStadt, Best. 2 (HUA Kop.) B 1, ließ sich nicht nachweisen.

(Johannes Deißler) / Letzte Bearbeitung: 20.12.2023

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, WF01, Nr. 97, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/WF01/WF-c1-002r.html (Datum des Zugriffs)

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