Sources regarding the history of the Jews in Frankfurt and Wetterau

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2374 records in this corpus. Displaying record 130.

Reichsstadt Frankfurt und Wetterau 2, Nr. 130

1349 Juli 24

Sowohl in seinen Antiquitates quaedam civitatis et potissimum ecclesiae Francfordensis als auch in den jüngeren Acta aliquot vetustiora in civitate Francofurtensi berichtet Johannes Latomus in der Mitte des 16. Jahrhunderts wortgleich über die zweite Frankfurter Judenschlacht vom 24. Juli 1349: Im Jahr 1349 gingen fast in ganz Deutschland die Juden zu Grunde, vor allem in Frankfurt, wo sie den besten Teil der Stadt bewohnten (ubi tunc optimam partem civitatis inhabitabant), der von der Brücke bis zum Fischerfeld hinunter auf dem Weckmarkt reichte und wo ihre Synagoge beim heutigen Haus 'Zur Waage' gelegen war, das bis jetzt noch den Namen 'die Judenschule' trägt. Sie bewohnten (occuparunt) sogar die Flanke des vorgenannten Platzes von der etwa der Brücke bis zum Lumpenbrunnen sowie von der Mehlwaage bis zur Kirche St. Bartholomäus (ad templum sancti Bartholomei). Auch der Ort, an dem später der Friedhof war, war mit ihren kleinen Häusern bebaut (ubi postea fuit cimeterium, fuit platea plena domunculis eorum), und einige Häuser tragen noch ihre Spuren und Buchstaben (extant vestigia adhuc in aluquibus aedibus et literis). In dieser Gegend, beim Turm unserer Kirche [St. Bartholomäus] gelegen, stand das Haus 'Zum Storch', welches von seinen jüdischen Bewohnern (a iudeis inhabitantibus) so genannt wurde. (1) Es wird berichtet, dass aus diesem Haus 'Zum Storch' ein brennender Pfeil (sagitta ignita) zum Rathaus geschossen wurde und das Archiv mit vielen Privilegien und Rechtsdokumenten verbrannte (totam efflagrasse cum multis privilegiis et iuribus reipublicae). Aus diesem Grund waren die Bürger erbost und überließen alle Juden dem Feuer, schlachteten sie ab, bis sie schließlich alle getötet waren (quare isti cives relicto igne omnes iudeos trucidarunt ac tandem exterminarunt). So lautet die Geschichte (gesta), welche von einer Person (quidam) aufgeschrieben wurde und allgemein geglaubt wird (et vulgo creditur). Es ist sicher und wahr, dass die Juden aus der Stadt vertrieben wurden (iudeos vero civitate pulsos certum est), aber es entspricht nicht der Wahrheit, dass das Rathaus niederbrannte (sed curiam conflagrasse non est probabile nec verum), da jenes alte und verlassene Gebäude 50 Jahre später für 100 Pfund Heller von den Bauherren der Fabrik der St. Bartholomäuskirche gekauft und an ebendieser Stelle der Turm errichtet wurde, wie aus den Registern [der Baufabrik] ersehen werden kann (ut ex registris probari potest). Aber viele jüdischen Häuser, insbesondere zwischen der Mehlwaage und unserer Kirche (templum nostrum), wurden - nachdem sie uns [dem Bartholomäusstift] aufgrund der auf ihnen lastenden jährlichen Zinsen an die Kirche zugesprochen worden waren (fundi nobis sunt adjudicati) - abgerissen und dann zur Vergrößerung des Friedhofs zusammengelegt (ad ampliationem coemeterii sunt redacti). Dies vermag ich zur Vertreibung anzuführen (haec de illa strage ego adferre potui). Andere Berichte glaube ich hingegen nicht (aliis commentis non credo).

(1) Es handelt sich um die spätere Saalgasse 1. Heute befindet sich an dieser Stelle ein Restaurant, welches noch den Namen 'Zum Storch' trägt.

Überlieferung:

Frankfurt, ISG, III B, S 5, Nr. 31, fol. 14r, Orig., lat., Papier.

  • Joannes Latomus. Antiquitates, S. 93 f.
  • Schnur, Juden in Frankfurt (2017), S. 127 und 177;
  • Backhaus, Einrichtung (1989), S. 83 f.;
  • Graus, Pest (1994), S. 195;
  • GJ 2, 1, S. 245;
  • Kracauer, Geschichte der Juden (1925), S. 39;
  • Kracauer, Aus der inneren Geschichte (1914), S. 6;
  • Kracauer, Politische Geschichte (1911), S. 41.

Kommentar:

Der Bericht des Stiftsdekans von St. Bartholomäus, Johannes Niclas genannt Latomus, über das Judenviertel und die Verfolgung von 1349 in den etwa 1562 verfassten Antiquitates quaedam civitatis et potissimum ecclesiae Francfordensis wurde wörtlich auch in die 1583 fertiggestellten Acta aliquot vetustiora in civitate Francofurtensi (Paralleldruck ebd., S. 93 f.; Acta aliquot vetustiora in civitate Francofurtensi, S. 415f.) sowie in das von einem protestantischen Schreiber ratsfreundlicher umformulierte Chronicon Francofurtense Johannis Latomi (Frankfurt, ISG, S 5, Nr. 11 und S 5, Nr. 40) übertragen. In Letzteres wurden die Judenbelege nicht aufgenommen. Zu den drei Werken vgl. Froning, Frankfurter Chroniken des Johannes Latomus (1882), S. 237-247; Dzeja, Geschichte (2003), S. 43-50 (mit weiterführender Literatur). Obwohl Latomus den Bericht vom angeblichen Schuss eines brennenden Pfeils vom Haus 'Zum Storch' zum Rathaus als Mythos entlarvt hat, hielt sich dieser offenbar hartnäckig und war in einem Überlieferungsstrang, den der Frankfurter Stadtarchivar Johann Martin Waldschmidt um 1700 in seine Frankfurter Chronik aufnahm, sogar zu einer Legende erweitert worden, die Rat und Bürger der Stadt jegliche Schuld am Pogrom von 1349 absprach und in den Geißlern und den Juden selbst die Schuldigen an dem Massaker erblickte (FW02, Nr. 128).

(dsc.) / Letzte Bearbeitung: 20.02.2018

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2016, FW02, Nr. 130, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/FW02/FW-c1-002k.html (Datum des Zugriffs)

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