Quellen zur Geschichte der Juden in der Mark Brandenburg (1273–1347)

Zurück zur Übersicht

133 Quellen in diesem Teilcorpus. Sie sehen die Quelle 59.

Brandenburg 1, Nr. 58

1324 Mai 1, Spandau

Herzog Rudolf I. von Sachsen-Wittenberg überlässt dem Rat der Stadt Spandau zur Befestigung derselben Stadt die jährlich zu entrichtenden Abgaben der Juden zu Spandau für zwei aufeinanderfolgende Jahre.

Nos Rudolphus dei gratia Saxonie Angharie Westphalie dux comes in Bren (1) [Bur]chraviusque (2) in Magdeburg, necnon sacri imperii marscalcus. Ad universorum notitiam tenore presentium cupimus pervenire publice protestantes, quod prudentibus viris et honestis, consulibus nostris in Spandowe fidelibus et dilectis nostris commisimus et in presentibus committimus (3) censum nostrum annuum seu contributionem annuam nostram (4) nostrorum Judeorum in Spandowe, quam nobis erogare solent, ad tollendum a donatione presentium ulterius ad duos annos continue numerandos dumtaxat quod ipsam contributionem in munimen civitatis nostre commitere debeant sive possint.

In cuius evidentiam nostrum secretum sigillum presentibus est appensum. (5) Datum Spandowe anno domini millesimo tricentesimo vicesimo quarto in die Ste. Walburgis virginis.

Rückvermerk:

[1]: Rudolphus h.; [2, neuzeitl.]: Privileg. Daß der Rath Zwey Jahr lang den Zinß von den Juden nehmen sollen [sic!]; weiterhin: Registraturvermerke

(1) Die Grafschaft Brehna, südlich des Herzogtums Sachsen-Wittenberg gelegen, wurde 1290 nach Aussterben der Grafen von Brehna als erledigtes Lehen durch Kg. Rudolf I. auf seinen Enkel Herzog Albrecht II. von Sachsen-Wittenberg, den Vater des hier ausstellenden Herzogs Rudolf, übertragen. Somit gelang den Herzögen von Sachsen-Wittenberg eine – gemessen an den bisherigen Besitzungen – beträchtliche Ausweitung ihres Territoriums; vgl. Assing, [Art.] Askanier (2003), S. 36; sowie: Schwineköper, Geschichtliche Einführung (1987), LV und Neuß, [Art.] Brehna (1987), S. 55.

(2) Die ersten Buchstaben des Wortes sind unleserlich und wurden daher erschlossen. Die zunächst eigenwillig erscheinende Variante "burchravius" für Burggraf erscheint auch andernorts.

(3) Im Text steht commitsimus statt committimus.

(4) Zum Begriffspaar censum nostrum annuum seu contributionem annuam nostram vgl. den Kommentar.

(5) Das ehedem angehängte Siegel fehlt.

Überlieferung:

Berlin, AStgM Spandau, IV U/25, Orig., lat., Perg.; eine Abschrift wird zusammen mit der Urkunde verwahrt.

  • CDB 1, 11, Nr. 39, S. 28 (nur dt., nach Dilschmann);
  • Dilschmann, Geschichte (1785), Nr. 8, S. 136 f. (nur dt.; dort mit fehlerhafter Datumszeile (1334), aber korrektem Kopfregest).
  • Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer 5, Nr. 4235, S. 330;
  • Schulze, Spandow 2 (1913), S. 5;
  • Zum Codex diplomaticus, S. 22.
  • Pohl, Grabsteine (2008/09), S. 176;
  • Pohl, Die jüdische Gemeinde Spandau (1988), S. 21 f. (Abb.);
  • GJ 2, 2, S. 773;
  • Heise, Juden (1932), S. 43–45;
  • Kohstall, Chronik (1929), S. 15;
  • Schulze, Spandow 1 (1913), S. 555;
  • Holtze, Geschichte (1874), S. 15;
  • Dilschmann, Geschichte (1785), S. 105.

Kommentar:

Nachdem bei Dilschmann, Geschichte (1785), Nr. 8, S. 136 f., der Druck einer deutschsprachigen Fassung erfolgte und hiernach die Quelle im CDB 1, 11, Nr. 39, S. 28, ebenfalls in deutscher Sprache gedruckt wurde, wurde das Schriftstück in der Forschung als genuin deutschsprachig angesehen. Eine Kurzbeschreibung der Urkunde im Ausstellungskatalog "Bürger, Bauer, Edelmann. Berlin im Mittelalter", Nr. 103, S. 238, gab 1987 an, diese sei in lateinischer Sprache verfasst, jedoch ohne Verweis darauf, dass der hier ebenfalls angegebene Druck im CDB den Inhalt in deutscher Sprache wiedergibt. Eine Abbildung der Archivalie erfolgte danach bei Pohl, Die jüdische Gemeinde Spandau (1988), S. 22.

Die lateinische und die verbreitete deutschsprachige Fassung stimmen inhaltlich überein, die Bezeichnung der Consulibus nostris in Spandowe findet in den Burgermeistern und Rathmannen vnser Stadt Spandow eine Entsprechung. Die Überlieferungslage spricht dafür, dass die erste Urkunde ursprünglich in lateinischer Sprache ausgefertigt wurde. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass das Schriftstück gleichzeitig in deutscher und in lateinischer Sprache abgefasst wurde.

Siehe weiterhin zur Ummauerung Spandaus seit 1319: BR01, Nr. 36, hier zwar mit Erwähnung von Juden, jedoch ohne einen explizit geäußerten Zusammenhang zwischen der Erbauung der Mauer und der Abgabe durch die Juden.

Während Pohl, Grabsteine (2008/09), S. 176, ausgehend von der deutschsprachigen Fassung, wie sie auch im CDB wiedergegeben ist, annimmt, dass bei der Nennung von schatzunge die "persönliche Vermögenssteuer des einzelnen in wechselnder Höhe" gemeint sein müsste, ist dem entgegenzuhalten, dass – legt man vergleichbare Verhältnisse in anderen Regionen des Reiches zugrunde – möglicherweise auch in Spandau die Jahresabgabe der Spandauer Juden von der jüdischen Gemeinde und somit für alle Gemeindemitglieder gemeinsam abgeführt wurde. Dass dann dennoch eine der jeweiligen wirtschaftlichen Potenz des einzelnen Gemeindemitglieds adäquate Umlage erfolgte, bleibt davon unberührt.

Ob tatsächlich eine fiskalisch zu beziffernde Jahresabgabe der Juden in Form der Gemeindesteuer und der Grundzinsabgaben den eigentlichen Mehrwert für die christliche Stadtgemeinde darstellte – wie beispielsweise bei Heise, Juden (1932), S. 43–45, angedeutet –, bleibt zu diskutieren, zumal es für eine sichere Zuordnung der Begriffe bei jetziger Forschunglage nur wenige konkrete Anhaltspunkte gibt.

Es liegt nahe, dass census und contributio gleichbedeutend sind. Lässt theoretisch die Stellung der Pronomina auch einen Bezug der nostrorum judeorum auf die contributionem annuam nostram alleine zu – und ermöglicht somit auch die Lesart, dass das censum nostrum annuum keineswegs mit den Juden in Spandau in Verbindung gebracht werden muss –, so ist die Formulierung in der deutschsprachigen Fassung, wie sie der Kopialbucheintrag "H" des Kopiars Berlin, AStgM Spandau, IV B2/27, wiedergibt, doch konkreter. Nimmt man eine zeitgleiche oder zeitnahe Übertragung ins Deutsche an, so ist davon auzugehen, dass der Inhalt der Regelung noch so präsent gewesen sein dürfte, dass hier eine grundlegend fehlerhafte Übersetzung vermieden worden wäre.

(jrc.) / Letzte Bearbeitung: 10.04.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2013, BR01, Nr. 58, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/BR01/CP1-c1-01y2.html (Datum des Zugriffs)

Lizenzhinweis

Die Datensätze stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und können unter Berücksichtigung der Lizenzbedingungen frei nachgenutzt werden. Sofern nicht anders angegeben, sind die verwendeten Bilder urheberrechtlich geschützt.

Zurück zur Übersicht