Quellen zur Geschichte der Juden in der Reichsstadt Rothenburg o. d. T. (1273–1347) (von Claudia Steffes-Maus)

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Die archivalische Überlieferung der seit 1274 reichsunmittelbaren Stadt Rothenburg ob der Tauber ist für das letzte Viertel des 13. und die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts außerordentlich reichhaltig. Zwar liegt die Zahl der überlieferten Einzelurkunden im Bereich dessen, was auch aus anderen nordalpinen Städten vergleichbarer Größe und Bedeutung im Reich aus dieser Zeit bekannt ist. Doch existiert hinsichtlich der Überlieferung serieller Quellen in Rothenburg eine Dichte, die nördlich der Alpen ansonsten wohl annähernd nur noch in Frankfurt erreicht wird. Nicht weniger als zwei umfangreiche Achtbücher 1), ein Landgerichtsbuch2) und vier Stadtgerichtsbücher3) müssen für den ersten Untersuchungszeitraum des Akademieprojekts berücksichtigt werden.

Sämtliche genannten Bücher sind unediert. Umfangreiche, jedoch unveröffentlichte Vorarbeiten zu einer Edition der Achtbücher hat Ludwig Schnurrer geleistet. Bislang sind lediglich die mehr als 700 Einträge im ersten Landgerichtsbuch mit jüdischen Betreffen vom Einsetzen desselben 1329 bis zum Ende des ersten Untersuchungszeitraums 1347 im Rahmen des Corpus-Projektes 2013 ediert worden. 4) Die für den ersten Zeitraum des Akademievorhabens ebenfalls sehr umfangreiche Überlieferung der Rothenburger Stadtgerichtsbücher sowie der Achtbücher des Landgerichts wird aufgrund der in ihnen erhaltenen hohen Zahl an Erwähnungen von Juden in gesonderten Corpora bearbeitet.

Die Stadt Rothenburg, bereits zur Zeit der Staufer in einer „königsnahen“ Position, gewann unter Rudolf von Habsburg (1273–1291) im Zuge von dessen Revindikationspolitik eine größere Bedeutung, die sich maßgeblich in der 1274 von König Rudolf legitimierten Reichsunmittelbarkeit ausdrückte. Diese Stellung konnte sich die Stadt trotz zahlreicher Anfeindungen durch territoriale Nachbarn – im Mittelalter insbesondere durch die Herren von Hohenlohe und die Würzburger Bischöfe (zu deren Diözese Rothenburg gehörte) – bis zum Reichsdeputationshauptschluss 1803 bewahren. Hierfür spielte in den ersten anderthalb Jahrhunderten nicht zuletzt die durch Rudolf 1274 zugleich gewährte Privilegierung als Sitz eines königlichen Landgerichts eine wichtige Rolle. Gleichzeitig mit der Hochgerichtsbarkeit bildete sich eine gut strukturierte städtische Verwaltung mit entsprechendem Schriftgut aus. Das zeitgleich einsetzende Achtbuch I des Rothenburger Landgerichts ist eines der ältesten im süddeutschen Raum; auch die städtischen Gerichtsbücher beginnen ihre Überlieferung bereits 1302 und sind nahezu lückenlos bis zum Ausgang des Mittelalters erhalten. Entsprechend früh kam es zur Archivierung vor Ort in der Tauberstadt, zunächst vermutlich in der Pfarrkirche St. Jakob, später dann im Rathaus (nach dem Rathausbrand des Jahres 1501 zwischenzeitlich in den Kanzleien der Stadtschreiber). Erst nachdem Rothenburg Anfang des 19. Jahrhunderts Bayern zugeschlagen worden war, wurden 1807 und 1821 zahlreiche Archivbestände nach München und Nürnberg abgegeben. Diese ausgelagerten Bestände verteilen sich heute, sofern sie nicht verloren sind, auf sieben Archive, von denen das Staatsarchiv Nürnberg die größte Bedeutung hat. 5)

Das im Folgenden edierte Quellencorpus zur Geschichte der Juden in Rothenburg o. d. T. zwischen 1273 und 1347 besteht hauptsächlich aus zwei Quellengattungen: zum einen den die Rothenburger Juden betreffenden Einzelurkunden der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des Jahres 1347, zum anderen den in Rothenburg überwiegend zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgefundenen jüdischen Grabsteinen aus der Zeit vom ausgehenden 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Insgesamt umfasst das Teilcorpus 63 Einträge.

Die erhaltenen Urkunden zur Geschichte der Rothenburger Juden stammen überwiegend aus dem Stadtarchiv Rothenburg und dem Staatsarchiv Nürnberg. Am Ende des letzten Jahrhunderts wurden die im 19. Jahrhundert nach München ausgelagerten Bestände, insbesondere die dem sogenannten Kaiser-Ludwig-Selekt inkorporierten Stücke, im Rahmen einer Neuordnung der staatlichen Archive Bayerns nach dem Provenienzprinzip wieder nach Nürnberg transferiert.6) Eine Einzelquelle lagert im Staatsarchiv Bamberg7), eine weitere im Staatsarchiv Würzburg8). Das älteste urkundliche Schriftstück dieses Teilcorpus mit Bezug auf Juden stammt aus dem Jahr 1313.9)

Die Originalurkunden werden ergänzt durch einige Urkundenabschriften, wie z. B. jene des nicht erhaltenen Originals Kaiser Ludwigs des Bayern (1314–1347) anlässlich der erstmaligen Erhebung des Goldenen Opferpfennigs im Rothenburger Copialbuch10), oder eine Kopie des wegen hoher, an die Rothenburger Juden zu leistender Zinsen mitbedingten Verkaufs der Neumühle im Taubertal durch den Detwanger Frauenkonvent an den Deutschen Orden in Rothenburg. 11) Ferner beinhaltet das Corpus einige wenige Texte anderer Quellengattungen mit Bezug zu Rothenburger Juden. Vier Einträge stammen aus dem Willkürenbuch der Stadt Rothenburg. Diese über mehrere Jahrzehnte hinweg entstandene serielle Quelle der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts beschäftigt sich mit rechtlichen Fragen des Zusammenlebens in der Stadt. So befassen sich die für das Projekt relevanten Bestimmungen unter anderem mit der Absicherung jüdischer Kreditansprüche. Ein weiteres Regest basiert auf einem chronikalischen Bericht Hermanns von Niederaltaich und geht auf die Rintfleisch-Verfolgung in Rothenburg ein.

Ein Großteil der im Teilcorpus berücksichtigten Urkunden wurde von den Königen/Kaisern ausgestellt und ist bereits seit langem in einschlägigen Quellenwerken wie den Monumenta Germaniae Historica ediert, so dass im Rahmen dieses Corpus mehrheitlich Regesten dieser Schriftstücke präsentiert werden. Die einzigen bislang unveröffentlichten Kaiserurkunden, die im Corpus erstmals vollständig ediert werden, sind die Erlaubnis Ludwigs des Bayern, dass die Rothenburger Juden den Judeneid wie die Nürnberger schwören dürfen12), und eine Verpachtung des Goldenen Opferpfennigs der Rothenburger Juden an Herzog Rudolf von Sachsen durch Karl IV. 13) Volltranskriptionen waren bei all jenen in der Regel unedierten Einzelurkunden des Stadtarchivs Rothenburg notwendig, die im Rahmen jüdischer Geschäftstätigkeit entstanden sind und teils sehr detaillierte Einblicke in die Vergabe, Abwicklung und Sicherung dieser Geschäfte liefern. Von Quellen, in denen kursorisch auf Juden Bezug genommen wird, wurden gemäß den Projektrichtlinien Regesten angefertigt, ebenso wie im Falle topographischer Angaben zu jüdischen Einrichtungen in der Stadt.

Die jüdischen Grabsteine wurden mehrheitlich 1914 bei Bauarbeiten auf dem ehemaligen Judenfriedhof, dem heutigen Schrannenplatz in Rothenburg, gefunden. Sie waren dort, aufgestellt in einer Reihe, am Nordende des Platzes vergraben worden. Vermutlich war dies bei der Auflösung des jüdischen Friedhofs im 16. Jahrhundert geschehen. Die endgültige Vertreibung der Juden aus Rothenburg erfolgte 1520. Der jüdische Friedhof bestand indes noch einige Jahre fort, wenn auch keine jüdischen Bestattungen mehr vorgenommen werden durften. Als jedoch Mitte des 16. Jahrhunderts der Kirchhof der Stadtkirche St. Jakob im Zentrum zu klein wurde, beschloss man, das Areal des „Judenkirchhofs“ als christliche Begräbnisstätte weiter zu nutzen. Gut hundert Jahren später wurde der Friedhof dann endgültig aufgelassen.14)

Nach ihrer Wiederauffindung gelangte ein Großteil der hebräischen Grabsteine ins Reichsstadtmuseum Rothenburg, wo sie heute in einer Judaica-Dauerausstellung besichtigt werden können. Weitere Steine wurden nach dem Zweiten Weltkrieg im sogenannten Rabbi-Meir-Gärtchen am Weißen Turm in die den Garten umgebende Mauer eingebaut. Zudem fand man Grabsteine oder deren Fragmente im Gemäuer umliegender Häuser in der Stadt sowie in der Burgmauer. Der älteste im Rahmen des Corpus-Projektes bearbeitete Grabstein stammt aus dem Jahr 1275 und bildet somit die früheste Quelle dieses Teilcorpus.15) Ein großer hebräischer Gedenkstein für die Opfer der Rintfleisch-Verfolgungen des Jahres 1298 diente im 20. Jahrhundert lange als Sockel für ein Standbild im Reichsstadtmuseum; er überstand den Krieg nur in beschädigtem Zustand und wurde erst 1980 wiederentdeckt. 16) Eine mit Hilfe alter Fotografien erstellte Replik des Steins kann heute nebst einem Stein mit deutscher Übersetzung der hebräischen Inschrift im Rothenburger Burggarten besichtigt werden.

  1. Nürnberg, StA, Reichsstadt Rothenburg, 487a (Achtbuch I); ebd., 487b (Achtbuch II). »
  2. Rothenburg, StadtA, B 296. »
  3. Ebd., B 14 (Stadtgerichtsbuch 1302–1316); ebd., B 15 (Stadtgerichtsbuch 1318–1329); Nürnberg, StA, Reichsstadt Rothenburg, 487c (Stadtgerichtsbuch 1312–1329); ebd., 487d (Stadtgerichtsbuch 1330–1349). »
  4. Vgl. Steffes-Maus, Claudia, Das Rothenburger Landgerichtsbuch I, in: Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2013 (http://www.medieval-ashkenaz.org/RL01/einleitung.html [Zugriffsdatum: 13. September 2013]). »
  5. Vgl. zur Entwicklung des Rothenburger Archivwesens: Urkunden der Reichsstadt Rothenburg. »
  6. Vgl. ebd., S. LVII–LXIII. »
  7. 1336 November 10 (RO01-0039). »
  8. 1345 Oktober 16 (RO01-0054). »
  9. 1313 November 9 (RO01-0012). »
  10. 1342 Februar 3 (RO01-0044). »
  11. 1318 Februar 13 (RO01-0015). »
  12. 1346 Oktober 18 (RO01-0055). »
  13. 1347 November 25 (RO01-0063). »
  14. Vgl. Schnizlein, Grabsteinfunde (1914); Grunwald, Rothenburg (1928), S. 206–209; vgl. auch Kwasman, Grabsteine (1993), S. 35–37. »
  15. 1275 März 8 (RO01-0001). »
  16. [nach 1298 Juni 30] (RO01-0007); vgl. Merz, Seele (1993), S. 29–34. Haverkamp, Friedhöfe (2011), S. 78, geht mit guten Gründen von einer Errichtung des Gedenksteins erst nach der Pestverfolgung aus. »
Zitierhinweis

Steffes-Maus, Claudia, Quellen zur Geschichte der Juden in der Reichsstadt Rothenburg o. d. T., in: Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg.v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2014,
URL: http://www.medieval-ashkenaz.org/RO01/einleitung.html (Datum des Zugriffs)