Quellen zur Geschichte der Juden in Westfalen

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Westfalen 1, Nr. 22

1297 [nach Juli 15]

Heinrich von Herford berichtet in seiner bis 1355 reichenden Chronik: Im siebten Jahr König Adolfs (septimo anno Adolfi) (1) wurde ein aus Lemgo stammender Augustiner, genannt de Selege (2), ein patherenus pessimus (3), der vom Glauben abgefallen war, sich beschneiden ließ und sich den Juden zugesellte, in Paris gefangen genommen, befragt und verbrannt: Septimo anno Adolfi […]. Item Augustinianus quidam, ex opido Lemegov oriundus, dictus de selege, patherenus pessimus, apostatavit a fide, et circumcisus iudeis associatur, et tandem, scilicet hoc anno, Parisius deprehensus, examinatur et comburitur.

(1) Das siebte Regierungsjahr Adolfs begann am 5. Mai 1298 und fand mit dessen Tod in der Schlacht bei Göllheim am 2. Juli desselben Jahres ein vorzeitiges Ende. Nach Heinrich von Herford sei Adolf erst in seinem achten Regierungsjahr verstorben. Anscheinend begann Heinrich schon nach dem Tod Rudolfs von Habsburg (1291 Juli 15) mit der Zählung von Adolfs Regierungsjahren, obwohl dieser erst am 5. Mai 1292 zum König gewählt wurde.

(2) Gerlach, Archidiakonat (1932), S. 131, erwähnt eine Familie Selge in Lemgo; für den Hinweis danke ich Prof. Diethard Aschoff (Münster).

(3) In den Lippischen Regesten wird in Erwägung gezogen, dass Heinrich von Herford mit patharenus pessimus einen Anhänger der als Häretiker angesehenen judaisierenden Passagier gemeint haben könnte; vgl. zu diesen Segl, [Art.] Passagier (1998), Sp. 1413 f. (mit weiterführender Literatur). Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass der sich von fixierten Glaubensvorstellungen abwendende Kanoniker erst geraume Zeit nach diesem Schritt zum Übertritt zum Judentum entschloss.

Überlieferung:

Wolfenbüttel, HAB, Codex Guelferbytanus 11 b Helmstadiensis, 150v-151r, möglicherweise Autograph (sicher vor 1404) , lat., Perg.; zu weiteren Abschriften vgl. , S. XXXIV-XXXVI; , Heinrich (1996), S. 25-37 und 212-214.

Kommentar:

Wohl um 1300 in Herford geboren, trat Heinrich bereits früh dem Mindener Dominikanerkonvent bei; er hielt sich offenbar mehrmals in Lemgo auf, wo das Mindener Dominikanerkloster über eine Terminei verfügte. Von 1328 an ist Heinrich mehrere Jahre in Soest belegt, ehe er wieder nach Minden zurückkehrte; weitere Aufenthalte sind auch für Osnabrück und Erfurt (1337) zu konstatieren. In der Funktion als Definitor der Ordensprovinz Saxonia, in der Minden lag, nahm Heinrich 1340 am Generalkapitel des Ordens in Mailand teil, 1348 wahrscheinlich ebenfalls als Vertreter der Ordensprovinz am Generalkapitel von Lyon. Als Heinrich 1370 verstarb, wurde er in der Mindener Klosterkirche bestattet. Zu Heinrichs Leben und Werk vgl. Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters, [Art.] Heinrich von Herford (mit weiterer Literatur). Zur Rezeption der bis 1355 reichenden Chronik Heinrichs von Herford vgl. Sprandel, Heinrich (1988), S. 559; Schumann, Heinrich (1996), S. 218-233; Schlemmer, Bedeutung (1964), S. 145-147, aus Reichsperspektive auch Johanek, Karl IV. (2009), S. 228.

Der 1438 verstorbene Lübecker Dominikaner Hermann Korner benutzte für seine zwischen 1416 und 1435 in vier Redaktionen erschienene Cronica novella das Werk Heinrichs von Herford. Als Quelle nennt Korner allerdings explizit eine Chronica Saxonum. Heinrich von Herford benutzte ebenfalls eine nicht mehr erhaltene, um 1300 verfasste Chronica Saxonum. Es erscheint jedoch fraglich, ob Heinrich, der sich selbst zeitweise in Lemgo aufhielt, die Nachricht jener in oder im Umfeld von Braunschweig entstandenen Chronik entnommen hat. Da Hermann Korner auch als Quelle für zahlreiche angeführte Exempel und Ereignisse aus dem 14. Jahrhundert eine Chronica Saxonum anfügt, muss es sich um eine Fortschreibung des Braunschweiger Werks gehandelt haben, sofern er nicht pauschal verschiedene Werke aus dem sächsischen Raum unter dem Begriff subsumierte. Bei der Wiedergabe der auch von Heinrich von Herford überlieferten Konversionsgeschichte aus Lemgo unterlief jedenfalls Korner - oder bereits dem Autor seiner Vorlage - ein Fehler, indem er statt de Selege den Namen Felix las oder sogar selig mit felix übersetzte (Hermanni Corneri chronica novella, Sp. 951 f.; die jüngere Edition von Schwalm ist unvollständig; sie erwähnt das Ereignis nicht). Zur Chronica Saxonum vgl. Nass, Cronica (1993); zu Hermann Korner Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters, [Art.] Cronica novella; Colberg, [Art.] Korner (1985), Sp. 317-320 (jeweils mit weiterführender Literatur). In seine Annales Paderbornenses nahm in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Nicolaus Schaten, Jesuit und Hofhistoriograph Fürstbischof Ferdinands von Paderborn, die Erzählung Heinrichs auf, interpretierte allerdings den Beinamen de Selege als der Selige (beatus) (Annales Paderbornenses 2, S. 183).

(Jörg R. Müller) / Letzte Bearbeitung: 20.12.2023

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, WF01, Nr. 22, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/WF01/CP1-c1-00lk.html (Datum des Zugriffs)

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