Judenbetreffe in Synodal- und Konzilsstatuten (1273–1347) (von René Richtscheid)

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Die auf Provinzialkonzilien und Diözesansynoden1) erlassenen Statuten2) sind nur äußerst lückenhaft überliefert.3) Zudem sind einige der erhaltenen Editionen veraltet.4) Dadurch wird die Erhellung der Textgenese, -tradierung und -rezeption erschwert. Schließlich können die für das Akademieprojekt räumlich einschlägigen Statuten auf Vorlagen sowohl aus der vorhergehenden Zeit als auch aus Regionen außerhalb des Untersuchungsraumes beruhen.5)

So steht die Mehrzahl der in den Konzils- und Synodalstatuten enthaltenen Judenbetreffe des Untersuchungsraumes in der Tradition des dritten (1179) und insbesondere des vierten Laterankonzils (1215)6), welche selbst wiederum teilweise auf frühmittelalterliche Vorbilder7) zurückgriffen. Zur Verbreitung dieser Beschlüsse trugen Provinzialkonzilien sowie daran anschließende Diözesansynoden, wie sie im vierten Lateranum angemahnt wurden, ebenso bei wie Konzilien, die von einem päpstlichen Legaten geleitet wurden.8) Diese enthalten jedoch nach den Versammlungen von Breslau und Wien 1267 keine Bestimmungen mehr zu Juden. Eine weitaus größere Wirkung ging deshalb im Untersuchungszeitraum von den erstmals 1234 von Papst Gregor IX. veranlassten Dekretalensammlungen aus.9)

Die geringe Anzahl von überlieferten Statuten mit Judenbetreffen, die auf vierzehn Provinzialkonzilien und Diözesansynoden bis 1347 erlassenen wurde, deutet – wenngleich aufgrund der erwähnten lückenhaften Überlieferung keine quantifizierbaren Aussagen gemacht werden können – darauf hin, dass dieser Problembereich für den Reichsepiskopat im Untersuchungszeitraum nicht vordringlich war. Zudem stammen die erhaltenen diesbezüglichen Statuten bis auf eine Ausnahme10) aus den Rhein-, Mosel-, Main- und Donaulanden, mithin den Regionen, in denen das aschkenasische Judentum am stärksten verankert war.

Großenteils auf eine Wiederholung der Bestimmungen von 1179 und 1215 beschränken sich die Judenbetreffe in den Statuten der Mainzer Diözesansynode von ca. 1274/75, der St. Pöltener Diözesansynode von 1284, des Aschaffenburger Provinzialkonzils für das Erzbistum Mainz von 1292, des Mainzer Provinzialkonzils von 1310, des Trierer Provinzialkonzils von 1310, der Brixner Diözesansynode von 1318 und der Würzburger Diözesansynode von 1329.11)In wenigen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass Statuten hinsichtlich des Wortlautes unreflektiert aus ihren Vorlagen übernommen wurden, etwa wenn im Trierer Provinzialkonzil von 1310 der sexuelle Kontakt von Christen und Christinnen mit Angehörigen des Judentums, des Islams und des Heidentums verboten wird.12) Zumeist wurden jedoch nicht alle Juden betreffende Vorschriften des IV. Lateranums übernommen, sondern offenbar gezielt nur die regional als drängend empfundenen Fragestellungen – bisweilen auch leicht modifiziert – angesprochen. Deren Dringlichkeit zeigt sich darin, dass sie entweder durch Strafandrohungen bekräftigt13) oder in den nächsten Jahren immer wieder in – häufig sogar explizit sich darauf beziehenden – späteren Synodal- und Konzilsstatuten wiederholt wurden.

Auf diese Weise sind Stammbäume einzelner Bestimmungen, seltener auch einer ganzen Gruppe von Bestimmungen zu ermitteln. Beispielsweise verbietet die Straßburger Diözesansynode von 1310 – vermutlich in Rückgriff auf das vierte Lateranum und die Mainzer Diözesansynode von 1301 sowie auf die Würzburger Synode von 129814) – die Verpfändung von Kelchen an Juden aus Furcht vor Freveln. Darauf beziehen sich dann die wörtlich fast gleichlautenden Bestimmungen der Straßburger Diözesansynode von 1341 und – neben einer Hinzufügung – der Straßburger Diözesansynode von 1345.15) Sogar ganze Gruppen von Statuten der Mainzer Diözesansynode von 1274/75 und des Aschaffenburger Provinzialkonzils von 1292, die auf das dritte und das vierte Lateranum zurückgehen, übernahm – neben einem weiteren Zusatz – das Mainzer Provinzialkonzil von 1310.16)

Neue Bestimmungen, welche die Vorschriften der Laterankonzilien nicht nur modifizierten, sondern auch über diese hinausgingen, sind in den einschlägigen Statuten seltener nachzuweisen. So verfügt das Mainzer Provinzialkonzil von 1310 im Anschluss an die eben erwähnten, von der Mainzer Diözesansynode von ca. 1274/75 und vom Aschaffenburger Konzil von 1292 übernommenen Vorschriften noch die Gleichstellung der Christen, die zum Judentum übergetreten oder zu diesem zurückgekehrt sind, mit Häretikern. Dies bezeugt die Aufnahme von nach 1215 erlassenem Dekretalen.17) Ferner verbietet das Trierer Provinzialkonzil von 1278 u. a. die medizinische Behandlung durch Juden sowie die Disputation zwischen literarisch ungebildeten Priestern und Juden vor einem Laienpublikum, was vermutlich auf die Wiener Konzilsstatuten von 1267 zurückzuführen ist. Vom Wiener Konzil oder den Dekretalen Gregors IX. könnte schließlich die Brixner Diözesansynode das Verbot der Errichtung neuer Synagogen übernommen haben.18)

Die Frage nach der Rezeption bestimmter Vorschriften von Provinzialkonzilien und Diözesansynoden in anderen Quellenarten bleibt insgesamt offen.19) Möglicherweise können ähnliche Dokumente, wie die zwischen den Juden von Neustadt Brandenburg und dem dortigen Pfarrer am 27. Februar 1322 ausgestellte Urkunde, die augenscheinlich die lokale Umsetzung von Statut 67 des vierten Laterankonzils bezeugt20), im Gesamtcorpus der Quellen noch gefunden werden. Häufiger als ihre Umsetzung ist jedoch die Umgehung einzelner Bestimmungen unter den alltäglichen Notwendigkeiten – in auffälliger Weise sogar von den Nachfolgern des jeweiligen Statuten promulgierenden (Erz-)Bischofs – nachzuweisen.21) Dies geschah zumeist stillschweigend. Jedoch setzte 1294 der Mainzer Erzbischof Gerhard von Eppstein sogar explizit die von ihm selbst auf dem Provinzialkonzil von Aschaffenburg nur zwei Jahre zuvor erlassenen Bestimmungen zur Kleiderordnung der Juden außer Kraft, um eine Übereinkunft der erzstiftischen Stadtgemeinde Erfurt mit der dortigen Judengemeinde zu ermöglichen.22)

  1. Vgl. zu den Unterschieden der beiden Versammlungsformen zuletzt Unger, Concilium (2004), S. 9-11; Helmrath, Partikularsynoden (2002), S. 63 f. »
  2. Gegen Wucher bzw. Wucherer allgemein erlassene Statuten werden im Folgenden nicht berücksichtigt. »
  3. Vgl. zur Überlieferungssituation Unger, Concilium (2004), S. 9-11; Helmrath, Partikularsynoden (2002), S. 63 f. Hinsichtlich der Statutensammlungen mit Judenbetreffen bieten lediglich die 1274/75, 1292, 1301 und 1310 abgefassten Mainzer Konzils- bzw. Synodalstatuten sowie die 1310, 1341 und 1345 abgefassten Straßburger Synodalstatuten eine für einen begrenzten Zeitraum annähernd kontinuierliche lokale Überlieferung, sodass auch Übernahmen und gegebenenfalls Ergänzungen zu ermitteln sind. »
  4. Vgl. Unger, Concilium (2004), S. 23, sowie Helmrath, Partikularsynoden (2002), S. 68 f. sowie ausführlich Sieben, Schannat-Hartzheimsche Sammlung (2005), insbesondere zu den im 18. Jahrhundert publizierten "Concilia Germaniae" und neueren Sammlungen von Konzils- und Synodalbeschlüssen in einzelnen Diözesen. Gerade die "Concilia Germaniae" und andere ältere Sammlungen müssen aber auch hier in Fällen, in denen die Handschriften inzwischen nicht mehr auffindbar sind, herangezogen werden. »
  5. So beziehen sich in zeitlicher Hinsicht mehrere Statuten des Untersuchungszeitraumes auf das von Kardinallegat Guido von San Lorenzo / Santa Lucina 1267 abgehaltene Wiener Konzil; vgl. allg. Johanek, Wiener Konzil (1978/79); zu Übernahmen aus den Wiener Konzilsstatuten unten Anm. 18; zur Judengesetzgebung der Konzilien Guidos vgl. Ollendiek, Legaten (1976), S. 144-146. Zu den Einflüssen des Zweiten Lyoner Konzils 1274 allgemein vgl. Wiegand, Diözesansynoden (1998), S. 56; speziell in der Mainzer und Kölner Provinz Unger, Concilium (2004), S. 101-181 und 209-270. Zu den Übernahmen aus dem III. und IV. Lateranum vgl. das Folgende. »
  6. Von den Juden betreffenden Beschlüssen des dritten Laterankonzils wurde Statut Nr. 26 mehrfach wiederholt, ebenso die Statuten Nr. 67-69 des vierten Laterankonzils; vgl. Conciliorum Oecumenicorum Decreta 2, S. 223 f. und 265-267. »
  7. Vgl. Mikat, Judengesetzgebung (1995), S. 25-98; Lotter, Crainte (1997), S. 859-862, 865-870 und 872-875. »
  8. Vgl. Wiegand, Diözesansynoden (1998), S. 14 f., 28-30 und 52-61; zusammenfassend Helmrath, Partikularsynoden (2002), S. 63 f. Die Durchsetzung der Beschlüsse von ökumenischen Konzilien im Reich bis zum Zweiten Konzil von Lyon 1274 untersuchte Pixton, Watchmen (1985); Ders., Episcopacy (1995); speziell in der Kölner und Mainzer Provinz bis 1310 Unger, Concilium (2004), in der Mainzer und Salzburger Provinz Johanek, Synodalia (1978). »
  9. Vgl. zur Aufnahme des Dekretalenrechts in den Provinzialkonzilien und Diözesansynoden Wiegand, Diözesansynoden (1998), S. 15 f., 52 f. und 58-62; Helmrath, Partikularsynoden (2002), S. 65 f.; Unger, Concilium (2004), S. 5-7 und 85 f.; Johanek, Synodalia (1978). »
  10. Dabei handelt es sich um eine lediglich formelhafte Erwähnung in den Statuten der Lütticher Diözesansynode von 1288 (SK01, Nr. 4). »
  11. Die ebenfalls Bestimmungen des dritten und vierten Lateranonzils rezipierenden Statuten der nur undatiert überlieferten Olmützer Diözesansynode wurden in der früheren Forschung auf 1342 datiert. Laut Krafl, K údajné synodě (1995); Ders., Nekolik poznámek (1997); Ders., Předhusitské synody (1996), gehört diese jedoch in das Jahr 1349. »
  12. Für das Erzbistum Trier erscheint die Annahme sexueller Beziehungen mit Sarazenen wenig realistisch, im Gegensatz zu ähnlich lautenden Bestimmungen okzitanischer Konzilien und Synoden Ende des 13. Jahrhunderts; vgl. SK01, Nr. 9 (Kommentar). »
  13. Vgl. Mainzer Diözesansynode von ca. 1274/75 (SK01, Nr. 1), Trierer Provinzialkonzil 1278 (SK01, Nr. 2); Konzil von Aschaffenburg 1292 (SK01, Nr. 5); Mainzer Provinzialkonzil 1310 (SK01, Nr. 10), Würzburger Diözesansynode 1329 (SK01, Nr. 12). Die angedrohten Strafen beschränkten sich freilich überwiegend auf Christen, welche weiterhin verbotene Formen des commercium mit Juden pflegten bzw. auf Funktionsträger, die diesen Umgang nicht verhinderten. Auf diese Weise konnten Juden zumeist nur indirekt, v. a. durch Beschränkung der Christen in ihren wirtschaftlichen Kontakten mit Juden belangt werden, was bereits als ein Movens hinter den Bestimmungen Innozenz‘ III. gesehen werden kann; vgl. Pfaff, Stellung (1965), insb. S. 190 f. »
  14. Zur Rezeption der Würzburger Synodalstatuten von 1298 durch Vermittlung der Mainzer Bestimmungen von 1310 in den Straßburger Synodalstatuten vgl. Johanek, Synodalia (1978), Bd. 1, S. 105-107. »
  15. Vgl. SK01, Nr. 13; SK01, Nr. 14»
  16. Vgl. SK01, Nr. 1, SK01, Nr. 5 und SK01, Nr. 10»
  17. Vgl. Liber Sextus, Lb. V, Tit. 2, cap. 13, Sp. 1075; zur Bedeutung dieses Konzils für die Aufnahme päpstlicher Gesetzgebung sowie daraufhin wiederum als Vorbild für spätere Statutensammlungen vgl. Kehrberger, Provinzial- und Synodalstatuten (1938), insb. S. 3 f.; Wiegand, Statutengesetzgebung (2006), S. 123. »
  18. Vgl. dazu die Kommentare zum Trierer Provinzialkonzil (SK01, Nr. 2) und zur Brixner Diözesansynode (SK01, Nr. 11); ferner Decretalium Gregorii Papae IX. compilatio, Lb. V, Tit. 6, cap. 3 und 7, Sp. 743-745. Zu den Bestimmungen des Wiener Konzils von 1267 allg. vgl. Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich 1, Nr. 45, S. 59-61, hier: S. 60 (mit weiterer Literatur). Das ebenfalls von Kardinallegat Guido etwa drei Monate vor dem Wiener abgehaltene Breslauer Konzil enthält die genannten Beschlüsse, die über die Laterankonzilien hinausgehen, nicht. Allerdings fügt es noch andere Juden betreffende Bestimmungen hinzu (vgl. Church and Jews 2, S. 244-246), die offenbar von den späteren Synoden und Konzilien im Reich nicht rezipiert wurden. »
  19. Dieser Frage ging bereits Kehrberger, Provinzial- und Synodalstatuten (1938), S. 110-117, nach und konstatierte weiterhin etliche Verstöße gegen die Bestimmungen des Mainzer Provinzialkonzils von 1310. »
  20. Vgl. Codex diplomaticus Brandenburgensis 9, Nr. 26, S. 19 f. Eine Wiederaufnahme dieses Statuts in den Konzils- und Synodalstatuten des Untersuchungszeitraumes im Reich ist freilich nicht nachweisbar, dafür allerdings in der Decretalium Gregorii Papae IX. compilatio, Lb. III, Tit. 30, cap. 16, Sp. 561. »
  21. Vgl. das Wucherverbot des Trierer Provinzialkonzils von 1278, an das sich jedoch die Trierer Erzbischöfe in der Folgezeit selbst nicht halten sollten (SK01, Nr. 2). »
  22. Vgl. REM, Bd. 1, Nr. 374, S. 65 f; ferner SK01, Nr. 5 (Kommentar); vgl. RUF-HAAG, Juden (2009), S. 47 f., 98 und 198 f. »
Zitierhinweis

Richtscheid, René, Judenbetreffe in Synodal- und Konzilsstatuten (1237–1347), in: Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg.v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2011,
URL: http://www.medieval-ashkenaz.org/SK01/einleitung.html (Datum des Zugriffs)