Das Rothenburger Landgerichtsbuch I (1329–1370) (von Claudia Steffes-Maus)

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I. Beschreibung der Handschrift

Der in einem guten Zustand im Rothenburger Stadtarchiv überlieferte Liber provincialis civitatis rotenburgensis (B 296), so die zeitgenössische Überschrift auf fol. 1r, ist eines von zwei noch vorhandenen Rothenburger Landgerichtsbüchern aus dem 14. Jahrhundert.1) Er besteht aus 149 Blatt Pergament in Folioformat und beinhaltet die vor dem Rothenburger Landgericht verhandelten Streitfälle und Akte freiwilliger Gerichtsbarkeit. Das Buch wurde 1329 Juni 9 angelegt (Liber Judicii provincialis Rotemburch iniciatum anno Domini M°CCC°XXIX, feria sexta ante Pentecostis). Die Verhandlungen in chronologischer Reihenfolge beginnen auf Blatt 4r mit dem Datum 1329 Juli 21 und enden 1370 Februar 15 auf Blatt 148v. Die Seiten sind oben rechts foliiert und haben unten in der Mitte eine durchgehende neuzeitliche Blattzählung, der wir bei der Edition folgen. Auf jedem Blatt ist in der Kopfzeile außerdem von zeitgenössischer Hand das jeweils aktuelle Jahr verzeichnet. Aus landgerichtlicher Provenienz stammen außer den Landgerichtsbüchern noch die beiden Rothenburger Achtbücher. Diese setzen vor den Nürnberger und Augsburger Achtbüchern ein und zählen somit zu den ältesten ihrer Art im Süden des mittelalterlichen Reiches.2) Deren Urteile mit Bezug zu Juden werden ebenfalls im Rahmen des Akademieprojekts veröffentlicht.

II. Funktion des Landgerichts

Das Rothenburger Landgericht wurde mit der Erhebung der Stadt in die Reichsunmittelbarkeit (1274) – etwa zeitgleich mit dem Nürnberger – als drittes kaiserliches Landgericht in Franken geschaffen. Es ging auf ein seit dem 12. Jahrhundert nachweisbares königliches Dominal- oder Zentgericht zurück.3) Von Beginn an stand es insbesondere in Konkurrenz zum Würzburger Landgericht. Der dortige Bischof sah seinen Einflussbereich durch die Errichtung eines weiteren Landgerichts innerhalb seines Bistums eingeschränkt.4) Das Einzugsgebiet (der Gerichtsbezirk) des Landgerichts an der Tauber entsprach in weiten Teilen dem Bereich, der im 15. Jahrhundert einmal die Rothenburger Landhege, ein zusammenhängendes, herrschaftlich weitgehend homogen strukturiertes Territorium von 400 km² um die Tauberstadt, bilden sollte. Der Einfluss des Gerichtes reichte aber im Südwesten und Norden auch darüber hinaus und umfasste somit einen Umkreis von gut 30 Kilometern um die Tauberstadt. Es scheint das Regelgericht für Verhandlungen zwischen Auswärtigen und Rothenburger Einwohnern – Juden wie Christen – gewesen zu sein. Außerdem war es der reguläre Anlaufpunkt für Verhandlungen unter Auswärtigen verschiedener Herrschaftsbereiche. So erscheinen neben Rothenburger Untertanen beispielsweise solche aus hohenlohischem, würzburgischem, ansbachischem oder mainzischem Einflussgebiet im Landgerichtsbuch.

Den Höhepunkt seiner Bedeutung erlebte das Landgericht in den 1340er Jahren. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erfuhr es einen ständigen Niedergang. König Wenzel verpfändete es schließlich mehrmals, unter anderem an die auch als Landrichter fungierenden Herren von Leuchtenberg; letztmalig geschah dies 1387. Die Landgrafen ihrerseits verpfändeten das Gericht unmittelbar an die Stadt Rothenburg weiter.5) Die Tauberstadt konnte es 1409 vom Reich für 8.000 Gulden kaufen6) woraufhin es endgültig in städtisches Eigentum über- und fortan im Stadtgericht aufging. Das Landgericht tagte überwiegend freitags7), in den ersten Jahrzehnten in der Regel in zweiwöchigem Abstand, seit etwa 1360 dann seltener und unregelmäßiger. Die Einträge erfolgten zunächst in Latein. Seit der Mitte des Jahrhunderts finden sich vereinzelt, ab 1365 dann mehrheitlich deutsche Einträge. Es gibt einen hebräischen Eintrag. 8)

III. Erwähnungen von Juden

Jüdische Betreffe liegen bis zum Mai 1348 in großer Zahl vor und werden danach bis zum Einschnitt der Pestverfolgung im Spätsommer/Frühherbst des Jahres 1349 seltener. Sie finden sich von 1351 bis 1354 überhaupt nicht und in den anschließenden Jahren nur noch vereinzelt. Eine generelle Lücke in den Eintragungen besteht zwischen 1359 April 21 und 1360 Februar 1. Zu dieser Zeit scheinen keine Sitzungen des Landgerichts stattgefunden zu haben.

Bislang haben weder das Rothenburger Landgericht noch dessen beide Bücher eine eigenständige wissenschaftliche oder editorische Bearbeitung erfahren. Lediglich die Achtbücher haben – freilich geringe – Aufmerksamkeit in der Forschung erregt. Deren häufig geforderte Edition konnte bis jetzt noch nicht geleistet werden.9) Vereinzelte Zitate aus den Landgerichtsbüchern finden sich in den Fußnoten zahlreicher Publikationen zur Rothenburger Geschichte.10) Daher werden hier bis auf wenige Ausnahmen erstmals die Volltexte der die Juden betreffenden Einträge veröffentlicht.11)

In dem 18 Jahre und knapp 80 Blätter umfassenden Zeitraum des Landgerichtsbuches, der für die erste Untersuchungsphase des Corpus-Projekts relevant ist, behandeln annähernd 750 Einträge jüdische Belange. Teilweise nehmen diese Angelegenheiten mit jüdischer Beteiligung ganze Seiten des Buches ein. In weit überwiegender Zahl handelt es sich hierbei um Akte freiwilliger Gerichtsbarkeit im Rahmen der Geldleihe. Daneben geht es häufig um die Verwertung von Pfändern durch Juden. Zudem werden auch Handlungsvollmachten und Geschäftsvertretungen unter Juden vor Gericht eingetragen. Bemerkenswerte Sonderfälle sind beispielsweise die neben der lateinischen auch in der oben erwähnten hebräischen Version erfolgte Eintragung einer Vormundschaftsregelung innerhalb der jüdischen Gemeinde oder die Verhandlungen im Zusammenhang mit Übergriffen auf Juden während der sogenannten Armleder-Verfolgungen.12) Alle Belege werden in 218 nach dem Datum sortierten Sammeleinträgen zusammengefasst. Diese hohe Zahl unterstreicht die herausragende Bedeutung der Reichsgerichtsbarkeit für die Sicherung jüdischer Interessen in Rothenburg während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.

Die Edition der Einträge folgt den Daten der Gerichtstage bzw. bei Urkundenabschriften, den dort explizit genannten Daten. Sie normalisiert u/v und i/j in der Schreibung. Eigennamen sowie Tagesdatierungen beginnen stets mit Majuskeln. Die einzelnen Einträge eines Datums wurden zur besseren Auffindbarkeit durchnummeriert.13) Bei der Auflösung eindeutiger, gängiger Abbreviaturen verzichtet die Transkription auf das Setzen von Klammern. Die Auflösung von häufig nur durch den Anfangsbuchstaben abgekürzten Vornamen geschieht in Klammern. Für die Online-Version wurden die modernen Ortsnamen den Quellenbezeichnungen in Klammern beigefügt. Ergänzungen fehlender Wörter durch den Bearbeiter stehen in eckigen Klammern. Lediglich der bereits ediert vorliegende hebräische Eintrag wurde als Regest wiedergegeben.14)

IV. Neue Erkenntnismöglichkeiten

Die Einträge des Rothenburger Landgerichtsbuches bieten erstmals einen umfassenden und kontinuierlichen Einblick in die Wirksamkeit eines stadtzentrierten Landgerichts über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Neben neuen topographischen Befunden zu jüdischer Siedlung in Rothenburg und den Orten in seiner Umgebung erhellen aus diesen Einträgen auch detaillierte Regelungen der jüdischen Geldleihe. Insbesondere zur Verzinsung lassen sich neue, umfangreiche Erkenntnisse gewinnen. Desgleichen lohnt die Rolle von Naturalien als Zahlungs- und Kreditsicherungsmittel sowie im Pfandhandel eine Untersuchung. Daneben wird sowohl auf Seiten der jüdischen Geldgeber als auch auf Seiten der Schuldner ein umfangreiches Personal fassbar, das bislang großenteils unbekannt war und einer Auswertung harrt. Die häufig erwähnten Herkunftsorte der Juden geben Aufschlüsse über jüdische Migration in Aschkenas vor dem Schwarzen Tod. Aus einer Zusammenschau sowohl der Acht- als auch der Landgerichtsbücher, der Stadtgerichtsbücher sowie der sporadischen Urkundenbelege sind zur Geschichte der Juden in und um Rothenburg vor allem für die Zeit vor der Mitte des 14. Jahrhunderts maßgebliche neue Erkenntnisse zu erwarten. 15)

  1. Das zweite Landgerichtsbuch lagert im Staatsarchiv Nürnberg unter der Signatur Reichsstadt Rothenburg, Akten, 487f. »
  2. Deren Überlieferung setzt im Jahr der Verleihung des sogenannten „Rudolfinums“ für Rothenburg (1274) ein. Sie befinden sich ebenfalls im Staatsarchiv Nürnberg (Bestand: Reichsstadt Rothenburg, Akten, 487a und 487b). »
  3. Vgl. Schnurrer, [Art.] Rothenburg ob der Tauber (1971), Nr. 9a, S. 464. Etwas vorsichtiger hinsichtlich des Alters des Rothenburger Landgerichtes urteilt Feine, Landgerichte (1948), S. 223 f. Er sieht die Anfänge des Gerichts spätestens in den 1230er Jahren »
  4. Vgl. Schubert, Franken (1978), S. 868 f.; grundlegend zum Würzburger Landgericht Merzbacher, Iudicium (1956): zur bis zum Ende des 14. Jahrhunderts geführten Auseinandersetzung zwischen Würzburg und Rothenburg vgl. ebd., S. 32-37; zu Juden vor diesem Gericht vgl. ebd., S. 55 f., 68, 88 f., 118-120 und 146 f.; außerdem Schäfer, Landgericht (2002). Auch in den beiden von Schäfer edierten Protokollen wurden Juden häufig erwähnt, sodass ein Vergleich mit den Rothenburger Büchern derselben Zeitstufe reizvoll ist. »
  5. Vgl. Urkunden der Reichsstadt Rothenburg 2 (1999), Nr. 2078 f., S. 816 f. »
  6. Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 2, Nr. 5776, S. 432. »
  7. Diesen Wochentag bestätigen auch die Eintragungen der Achtbücher; vgl. Schreibmüller, Rothenburger Landgericht (1954), S. 50 »
  8. RL01, Nr. 181.  »
  9. Ebd., S. 46. »
  10. Stellvertretend für andere sei hier auf die nach wie vor einschlägige Arbeit zur mittelalterlichen Geschichte der Juden in Rothenburg verwiesen: Wehrmann, Rechtsstellung (1976). Für einen Überblick über die jüdische Gemeinde Rothenburgs zwischen Rintfleisch- und Pestverfolgung vgl. GJ 2, 2, S. 707-718. »
  11. Die Erschließung und Transkription der Einträge leistete die Verfasserin, für wertvolle Hilfestellung durch die Kollation ist sie Dr. Christoph Cluse (Trier) zu großem Dank verpflichtet. »
  12. Wie Anm. 8. »
  13. Hierfür ein herzliches Dankeschön an Sarah Jochum (Trier). »
  14. Wie Anm. 8; Edition in: Kwasman, Grabsteine (1993), S. 115-119. »
  15. Vgl. demnächst auch Steffes-Maus, Juden vor dem Rothenburger Landgericht (2013). »
Zitierhinweis

Steffes-Maus, Claudia, Das Rothenburger Landgerichtsbuch I (1329–1370), in: Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2013
URL: http://www.medieval-ashkenaz.org/RL01/einleitung.html (Datum des Zugriffs)