Quellen zur Geschichte der Juden im Elsass (1273-1347)

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Elsass 1, Nr. 65

[vor 1304]

Der dem Dominikanerorden angehörende Autor schreibt: In Reinsperg (1) kam eine junge Frau zu einem Juden, um gegen Pfand Geld zu leihen. Als der Jude die junge Frau sah, begehrte er sie und schlug ihr vor, ihm im Haushalt zu dienen, indem sie seine kranke Frau versorge. Nachdem sie die Frau des Juden einige Zeit gegen Entlohnung versorgt hatte, versprach der Jude der jungen Frau schöne Kleider, wenn sie geschlechtlich mit ihm verkehre. Auf sein beim Gott der Christen hin gegebenes Versprechen, seine Zusage zu erfüllen, legte sie sich hin und ertrug alles geduldig. Nachher erfüllte sie dem Juden jeden Willen freiwillig. Bald darauf bat er sie, ihm vom Altar eine geweihte Hostie mitzubringen, wofür sie soviel Geld, wie sie nur wolle, bekäme, sofern sie darüber schwiege. Als sie wenig später in der Ostermesse das hl. Sakrament erhielt, nahm sie es heimlich aus dem Mund, versteckte es und gab es dem Juden, der sie entlohnte. Der Jude wartete den geeigneten Zeitpunkt zum Vorgehen gegen die Hostie ab, verriegelte die Tür, legte die Hostie auf den Tisch und stach mit einem Messer in die Hostie, die er schwer verwundete. Als die Hostie das Messer spürte, schrie sie mit der Stimme eines Knaben laut wehklagend in höchstem Schmerz auf. Dies hörte der Pförtner oder Burgwächter (portarius seu vigil castri), der oberhalb des Judenhauses postiert war, und wunderte sich sehr. Als er das Geräusch mehrmals gehört hatte, dachte er, die Juden folterten dort einen Christenknaben, um an sein Blut zu gelangen. Sofort rannte er zum Haus des Juden, wo er schließlich einen Spalt fand, durch den er den Juden bei der Misshandlung der noch immer schreienden Hostie erblicken konnte. Dann lief er zum städtischen Vikar (vicarius civitatis) und forderte ihn auf, ihn zum Schultheißen (scultetus) zu begleiten. Zu dritt begaben sie sich eilends zum Haus des Juden, wo sie ihn beim Durchstechen der von der Decke herabhängenden Hostie mittels einer an einem Holz befestigten und als Pfeil verwendeten Nadel vorfanden. Der Schultheiß nahm den Juden und seine Familie (familia sua) gefangen und warf sie in den Kerker. Als der Jude die Gefahr erkannte, rief er den Schultheiß zu sich und versprach ihm eine hohe Summe Geldes, wenn er ihn freiließe. Der ging darauf ein und drohte dem Wächter und dem Vikar (plebanus seu vicarius) Strafen an, wenn sie mit jemandem über die Sache redeten. Am folgenden Tage aber zerteilte sich bei der Stadt die Erde, Wasser trat heraus und überschwemmte die halbe Stadt. Während die Menschen sagten, dass dies wegen ihrer Sünden geschehen sei, behauptete der Schultheiß, dass dies keine ungewöhnliche Erscheinung sei und auch andernorts geschehe. Am dritten Tage aber kamen Blitze vom Himmel, die Feuer verursachten und die Menschen zur Flucht bewegten. Unter ihnen war auch der Schultheiß, der mit Gottes Erlaubnis im Feuer umkam. Überliefert wurde dies von dem adligen und mächtigen Ritter Rustarius (miles nobilis et potens) (2), darüber hinaus stimmten auch die später in diese Stadt Kommenden darin überein.

(1) Es ist unklar, um welchen Ort es sich gehandelt haben soll, möglicherweise sogar Regensburg.

(2) Kleinschmidt vermutet, es könne sich um einen Angehörigen des Colmarer Ministerialengeschlechts Rust gehandelt haben (Rudolf von Schlettstadt, Historiae memorabiles, Nr. 10, S. 57).

Überlieferung:

Donaueschingen, Fürstlich Fürstenbergische Hofbibliothek, Ms. 704, fol. 203r-204r, Abschr. (Mitte 16. Jh.), lat., Papier; Sigmaringen, Fürstlich Hohenzollernsche Hofbibliothek, Cod. 64, fol. 185v-187r (Abschr. Mitte 16. Jh.).

  • Rudolf von Schlettstadt, Historiae memorabiles, Nr. 10, S. 55-57.
  • Mikosch, Wucherer (2012), S. 424;
  • Grabmayer, Diesseits (1999), S. 251 und 266;
  • Grabmayer, Rudolf (1994), S. 325 f.;
  • Lotter, Judenbild (1993), S. 442;
  • Lotter, Judenverfolgung (1988), S. 414.

Kommentar:

Zu den fälschlich Rudolf von Schlettstadt zugeschriebenen Historiae memorabiles aus dem Umfeld des Colmarer Dominikanerkonvents vgl. EL01, Nr. 31. Codex 64 der Fürstlich Hohenzollernschen Hofbibliothek bietet leichte Textvarianten, die sich jedoch nicht auf den Inhalt auswirken; vgl. Georges, Graf (1999), S. 60.

(jmü.) / Letzte Bearbeitung: 06.01.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2014, EL01, Nr. 65, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/EL01/CP1-c1-00sk.html (Datum des Zugriffs)

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