Quellen zur Geschichte der Juden im Erzbistum Mainz (1273–1347). Zur Einführung (von Gerd Mentgen)

Download als .pdf

Das Erzbistum Mainz umfasste im Mittelalter ein über die Rhein-Main-Region hinaus in nordöstlicher Richtung bis nach Südniedersachsen ausgreifendes Gebiet, das sich nach Südosten hin bis in den Taubergrund erstreckte und im Südwesten zudem große Teile des Landes an der Nahe, des Hunsrücks und des Nordpfälzer Berglandes einschloss. Insofern allein schon aus der Stadt Frankfurt a. M. eine enorme Anzahl von Quellen zur Geschichte der Juden überliefert ist, schien es angeraten, das Erzbistum zur Bearbeitung aufzuspalten. Deshalb werden die einschlägigen Zeugnisse, die Frankfurt (mitsamt der Wetterau) betreffen, daneben aber auch die Quellen zu Thüringen in eigenen Teilcorpora präsentiert.1) Da der für den dritten Teilband des Überblickswerks „Germania Judaica 3“ vorgesehene Gebietsartikel „Mainz, Erzstift und Erzbistum“ nicht zustande kam, existiert bis heute keine Darstellung der Geschichte der Juden im Mainzer Kirchensprengel. Eine gute Grundlage zur Erfassung der judengeschichtlichen Situation im Bistumsgebiet bietet jedoch neben den einschlägigen Ortsartikeln der „Germania Judaica 2“ und dem kommentierten Kartenwerk zur Geschichte der Juden in der FGJ-Reihe2) die Dissertation von Franz-Josef Ziwes3).

Im Zentrum vorliegender Sammlung von insgesamt 326 Quellen steht die Kathedralstadt Mainz, die zum einen als Sitz eines Metropoliten, Kurfürsten und Erzkanzlers für die deutschen Lande herausragte, als welcher der Erzbischof auch in Bezug auf die Juden des Reiches ein Vorrecht beanspruchen durfte, denn vom Reichsoberhaupt wurde ihm der sogenannte „Judenzehnte“, d. h. der zehnte Teil eventueller Einnahmen des Monarchen von Gütern, Steuern und Beden der Juden, überlassen.4) Zum andern beherbergte Mainz einer hebräischen Quelle aus dem 12. Jahrhundert zufolge „die älteste, berühmteste und auserlesenste von allen [jüdischen] Gemeinden des Reiches“.5) Zusammen mit den kehillot in Worms und Speyer gehörte die Mainzer Judenschaft im Mittelalter zu den für ihre bedeutenden Rabbiner berühmten sogenannten „SchUM“-Gemeinden, deren Gelehrte im 13. und 14. Jahrhundert gemeinsame Tagungen abhielten und Beschlüsse fassten.6)

Die Mainzer Judengemeinde war denn auch im Bearbeitungszeitraum höchstwahrscheinlich stets die größte im Untersuchungsgebiet. Erfreulicherweise sind die – inzwischen auch online einsehbaren7) – Urkunden zur Stadtgeschichte im Mainzer Stadtarchiv schon seit über einem halben Jahrhundert durch das Regestenwerk von Richard Dertsch8) erschlossen. Die wesentlich umfassenderen, alle Provenienzen berücksichtigenden „Mainzer Regesten“ von Ludwig Falck „zur Geschichte der Stadt, ihrer geistlichen und weltlichen Institutionen und Bewohner“ konnten hingegegen erst bis zum Jahr 1260 bearbeitet werden9), was die Ermittlung bislang noch unbeachteten Quellenmaterials zur Geschichte der Mainzer Juden ab dem Jahr 1273 erschwert hat.

In den 1270er und frühen 1280er Jahren wurden die in Mainz, aber auch die im nicht weit entfernt gelegenen Lorch im Rheingau und in anderen Orten des Erzbistums bzw. Erzstifts ansässigen Juden mehrfach mit Christenmord- bzw. Ritualmord-Beschuldigungen konfrontiert. Die diesbezüglichen lateinischen Quellen sind hier erstmals sämtlich in edierter oder regestierter Form greifbar.10) Vier Einzelnummern dokumentieren die Reaktion König Rudolfs von Habsburg auf die Flucht Mainzer und weiterer mittelrheinischer Juden aus Aschkenas mit dem Ziel Palästina im Jahr 1286.11) Einen weiteren Einschnitt in der Geschichte der Stadt-Mainzer Juden gab es im Juni 1295, als Erzbischof Gerhard nach jahrelangen einschlägigen Auseinandersetzungen mit der Stadtgemeinde sein Recht auf die Besteuerung der Juden bis auf eine jährliche Forderung in Höhe von 112 Mark an den Mainzer Magistrat übertrug.12) Die jüdische Gemeinde scheint dadurch in ihrer weiteren Entwicklung nicht negativ beeinflusst worden zu sein. Nach der Einschätzung des Mainzer Kämmerers Salmann hatten die Juden im Jahr 1338 noch „viel gutes Recht und Gewohnheit“ in der Stadt Mainz.13)

Insgesamt ließen sich für die Untersuchungsperiode 56 urkundliche Quellen ermitteln, die sich auf Juden der Mainzer Gemeinde bzw. deren Immobilien beziehen. Hinzu kommen neben einigen historiographischen Zeugnissen immerhin siebzig Inschriften von Grabsteinen. Damit übertrifft Mainz deutlich die Menge der zur Geschichte der Binger Juden ermittelten Quellen, die im Teilcorpus am zweithäufigsten erscheinen. Von diesen betreffen nicht weniger als zwölf den großen Finanzier Abraham von Kreuznach, der sich spätestens Ende der 1320er Jahre in Bingen niedergelassen hat.14) Adolf Kober hat ihn folgendermaßen charakterisiert: „Er gehörte zu den bedeutendsten jüdischen Geldhändlern jener Tage und war den Erzbischöfen [von Mainz] anscheinend unentbehrlich.“15)

Abraham zählte ebenso wie sein Binger Glaubensgenosse Salman zu den jüdischen Zöllnern und Pächtern bzw. Anteilseignern mainzischer Rhein- und Mainzölle, wie denen zu Lahnstein, Geisenheim und Miltenberg. Die Dokumentation mehrerer solcher Zollvergaben an die genannten und weitere Juden, wie Anselm von Oppenheim, Abraham Buch und David Buch von Wertheim sowie einen nicht näher bekannten Anselm16), gehört zu den Besonderheiten des vorliegenden Teilcorpus.17)

Aufmerksam gemacht sei zudem auf die erstmalige Auswertung der Rechnungen aus der Kurmainzer Kellerei Amöneburg, die dank des freundlichen Entgegenkommens von Herrn Klaus Schäfer in Marburg erfolgte, der eine druckfertige Edition vorbereitet und darin Einblick gewährt hat. Dadurch kann für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts die Ansiedlung von Juden im ehemaligen hessischen Marktflecken Wetter (Kreis Marburg-Biedenkopf) bewiesen werden18), die bislang völlig unbekannt war. Darüber hinaus lieferte diese Rechnungsquelle den Erstbeleg für die Existenz einer Synagoge in Amöneburg selbst.19) Aus anderer Provenienz stammt, datierend vom 1. Oktober 1344, der erste Nachweis einer „Judenschule“ in der kleinen Stadt Külsheim im Taubergrund20), über deren Judengemeinde vor 1349 sonst kaum Nachrichten vorliegen.21)

Der Forschung schon lange bekannt sind fünf ausführliche Urkunden in hebräischer Sprache aus dem Zeitaum von 1336 bis 1343.22) Komplette Übersetzungen dieser Stücke ins Deutsche lagen bislang jedoch ebensowenig vor wie in einem Falle eine hebräische Edition. Diesem Manko wird durch das Teilcorpus nunmehr Abhilfe geschaffen. Die Dokumente sind nicht nur formal sehr interessant, sondern auch inhaltlich aufschlussreich. Zum Beispiel künden sie von einem ehemaligen jüdischen Bezirk „Bergstraße“ – gebildet aus den Judenschaften in den Kurmainzer Kleinstädten Weinheim, Heppenheim und Bensheim23) –, und sie erhellen auch die aus deutscher oder lateinischer Überlieferung nicht bekannte Praxis, dass zwei Juden im Jahr 1343 dem Mainzer Erzbischof Heinrich von Virneburg eine stattliche Kaution von 5.000 Gulden als Garantiesumme dafür hinterlegen mussten, dass sie ohne Heinrichs Erlaubnis in keine andere Herrschaft übersiedeln würden. Im Falle eines Verstoßes gegen ihre Selbstverpflichtung sollte die Juden unter anderem die Exkommunikation durch die SchUM-Gemeinden treffen.24)

Unter den sonstigen besonders bemerkenswerten Einzelstücken sei hier noch nachdrücklich die erstmalige vollständige Transkription des deutschsprachigen Protokolls einer Tagung des Lehnsgerichts Erzbischof Balduins von Trier vom 23. Oktober 1340 hervorgehoben, auf der sich Balduins Lehensmann Graf Walram von Sponheim mit zahlreichen Klagen des ersteren konfrontiert sah. Sie betrafen nicht zuletzt die erzbischöflichen Juden zu Kirchberg auf dem Hunsrück, die in einer Nacht-und Nebel-Aktion von sponheimischen Leuten unter Führung eines Amtmannes des Grafen erschlagen worden waren.25)

Die von Johannes Mötsch bearbeiteten äußerst reichhaltigen Regesten des Archivs der Grafen von Sponheim26) warten mit vielen Zusammenfassungen für die Geschichte der Juden kaum minder interessanter Dokumente auf, die das Teilcorpus wiederum erstmals in Volltexteditionen zugänglich macht. Erwähnt seien diesbezüglich nur die außergewöhnlich detaillierte Auflistung christlicher und jüdischer Gläubiger der Grafen Johann und Simon von Sponheim aus dem Jahr 130127) und die anscheinende Beraubung und Erpressung einer sehr wohlhabenden jüdischen Familie aus (Bad) Kreuznach im „Armleder“-Verfolgungsjahr 1338 durch Graf Walram von Sponheim, der den Juden unter anderem eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von 7.000 Gulden aufnötigte.28) Mit diesen Hinweisen können und sollen nicht mehr als einige Schlaglichter auf den großen Informationsgehalt des vorliegenden Teilcorpus geworfen werden.29)

  1. Ersteres liegt für die Zeitstufe bis 1347 bereits vor: Quellen zur Geschichte der Juden in der Wetterau (FW01)»
  2. Geschichte der Juden (2002). »
  3. Ziwes, Studien (1995). »
  4. Vgl. MZ01, Nr. 64, MZ01, Nr. 102, und MZ01, Nr. 116»
  5. „Ein Bericht über den Bau der Synagoge in Speyer im Jahre 1104“ (hebr.), dt. Übers. zit. nach Hebräische Berichte, S. 490; vgl. dazu ebd., S. 7, sowie Haverkamp, Beziehungen (2013), S. 56 f. Der Mainzer Rabbiner Maharil (Jakob ben Moses haLewi Molin) hielt einen gegen Ende des 14. oder im frühen 15. Jahrhundert aufgefundenen jüdischen Grabstein für 1.100 Jahre alt (GJ 3, 2, S. 790). »
  6. Vgl. zu diesem regionalen Gemeindeverband, der „seit dem frühen 14. Jahrhundert unter dem Begriff ‚Kehillot SchUM‘ subsumiert“ wurde, den Überblick von Barzen, SchUM-Gemeinden (2013), das Zitat S. 32. »
  7. http://monasterium.net/mom/DE-StaAMainz/archive»
  8. Urkunden des Stadtarchivs Mainz 1 und 2. »
  9. Mainzer Regesten. Der letzte Band erschien im Jahr 2014. »
  10. Vgl. MZ01, Nr. 6, MZ01, Nr. 7, MZ01, Nr. 10, MZ01, Nr. 21, MZ01, Nr. 22, MZ01, Nr. 23, MZ01, Nr. 30, und MZ01, Nr. 31»
  11. Vgl. MZ01, Nr. 32, MZ01, Nr. 33, MZ01, Nr. 34, und MZ01, Nr. 35»
  12. Vgl. MZ01, Nr. 54»
  13. […] und noch hant die iuden vil gudes rechtes und gewonheit in unser stad zu Mentze; s. MZ01, Nr. 228»
  14. Vgl. MZ01, Nr. 168»
  15. GJ 2, 1, S. 82. »
  16. Vgl. MZ01, Nr. 240, MZ01, Nr. 250, MZ01, Nr. 268, MZ01, Nr. 273, MZ01, Nr. 276, MZ01, Nr. 293, und MZ01, Nr. 324»
  17. Vgl. zu diesem Sachverhalt in den deutschen Landen Wenninger, Juden (2008), bes. S. 131 f. »
  18. Siehe MZ01, Nr. 152, MZ01, Nr. 153, MZ01, Nr. 155, MZ01, Nr. 157, MZ01, Nr. 166, MZ01, Nr. 177, MZ01, Nr. 179, MZ01, Nr. 180, und MZ01, Nr. 292»
  19. Siehe MZ01, Nr. 194»
  20. Siehe MZ01, Nr. 296»
  21. Vgl. GJ 2, 1, S. 459. »
  22. Siehe MZ01, Nr. 222, MZ01, Nr. 285, MZ01, Nr. 286, MZ01, Nr. 287, und MZ01, Nr. 288»
  23. Siehe MZ01, Nr. 222»
  24. Vgl. MZ01, Nr. 286»
  25. Vgl. MZ01, Nr. 255»
  26. Regesten des Archivs der Grafen von Sponheim 1. »
  27. Vgl. MZ01, Nr. 79»
  28. Vgl. MZ01, Nr. 229, und MZ01, Nr. 230»
  29. Abschließend sei den Herausgebern, Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Alfred Haverkamp und Dr. Jörg Müller, für ihre kritische Durchsicht des Manuskripts gedankt, letzterem darüber hinaus für die Bearbeitung der historiographischen Quellen. Dr. Klaus Cuno hat mit enormer Akribie und Umsicht die Präsentation der zahlreichen Grabstein-Inschriften durchgeführt, wofür ihm an dieser Stelle ebenso herzlich gedankt sei wie Maxim Novak, Sarah Jochum und Andreas Lehnertz für weitere Hilfestellung bei der Bearbeitung dieser hebräischen Quellen. Letzterer und Dr. Rainer Josef Barzen haben sich dankenswerterweise der hebräischen Urkunden und Rückvermerke angenommen. Dank gebührt auch Peter Lenhardt für die Benutzung eines von ihm für die Edition vorbereiteten Kina-Textes mit deutscher Übersetzung und Kommentar. Ferner gilt mein Dank für verschiedene Vorarbeiten und Hinweise den Herren Dr. Friedhelm Burgard, Thomas Peter, Dr. Matthias Schmandt, Dr. des. David Schnur und Dr. Franz-Josef Ziwes. »
Zitierhinweis

Mentgen, Gerd, Quellen zur Geschichte der Juden im Erzbistum Mainz (1273–1347). Zur Einführung, in: Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015,
URL: http://www.medieval-ashkenaz.org/MZ01/einleitung.html (Datum des Zugriffs).