Quellen zur Geschichte der Juden in den norddeutschen Bistümern (1273-1347)
273 Quellen in diesem Teilcorpus. Sie sehen die Quelle 100.
Norddeutschland 1, Nr. 100
[zwischen 1321 April 13 und 1324], Goslar
In einem Verzeichnis der Einnahmen der Stadt Goslar folgen nach Forsterlösen (gulde der holtmarke), dem Hofzins (hovetyns) und weiteren Zinseinnahmen Angaben zu den Steuern der Juden: (1)
Der Judenschoß: ungefähr 30 Mark: Der ioden scot XXX marc, min oder mer (2).
Direkt darunter in neuer Zeile Angaben zur Kopfsteuer einzelner Juden:
Der Jude Samson gibt zum Johannestag eine Mark und zu Weihnachten eine Mark: Sampson gift tuͦ sinte Iohannes dage (3) ene marc unde tuͦ winachten (4) ene marc. (5)
Kalman gibt für sich und seine beiden Söhne drei Mark zu Michaelis: Calman gift vor sek unde vor siner sone twene dre marc Michaelis (6). (7)
Jordan Moder gibt 3/4 Mark zu Johannis und 3/4 Mark zu Weihnachten: Jordanes Moder gift dre verdinge Iohannis (3) unde III fer tu winachten (4). (8)
Jordan von Derneburg gibt [jährlich] zwei Mark über fünf Jahre: Jordan van Derneborch gift two mark vif iar umme. (9)
Es folgen nachgetragen auf dem Rest der letzten Hilfslinie und zwei weiteren Zeilen (10):
Und Jordan, Samsons Neffe, gibt 3/4 Mark zu Johannis und 3/4 Mark zu Weihnachten: Unde Jordan, Samspons neve, gift dre verdinge to sinte Johannes daghe (3) unde III fer tuͦ winachten (4). (11)
Jordan Widoge und Smaria [geben jährlich] 2 1/4 Mark über sechs Jahre: Jordan Widoge unde Smarian IX fer ses jare umme. (12)
(1) Die Zeilen zur Kopfsteuer ab Sampson gift tuͦ sinte Iohannes dage bis zu dem Nachtrag Jordan Widoge unde Smarian IX fer ses jare umme sind von späterer Hand gestrichen. Erläuternd ist (über Kalman) hinzugefügt: nichil est, sed cum aliis scotebit. Die hier festgehaltenen Sonderreglungen waren demnach ausgelaufen und die ehemals Begünstigten entrichteten nun wieder zusammen mit der übrigen Judengemeinde den Schoß. Anhand der bekannten Parallelüberlieferung ist nicht davon auszugehen, dass an Ort und Stelle alle Eximierungen vom üblichen Judenschoß eingetragen worden sind. Was die Auswahl bestimmte, ist nicht nachzuvollziehen. Die für die Juden relevanten Zeilen (mittlerer Abschnitt von Nr. 492 des Verwaltungsbuches) sind nur ungefähr zu datieren, der Herausgeber des Urkundenbuches hat die Nr. 406 des Urkundenbuches (umfasst Nr. 489-492 des Verwaltungsbuches) - u. a. der verschiedenen Hände wegen - auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts festgesetzt. Dank der Parallelüberlieferung gibt es Anhaltspunkte für eine genauere Datierung des die Juden betreffenden Abschnittes. Die bei Jordan von Derneburg für Höhe (zwei Mark/Jahr) und Laufzeit (fünf Jahre) gemachten Angaben decken sich inhaltlich mit seinem fünf Jahre gültigen Judenbrief vom 13. April 1321 (NO01, Nr. 99), ferner stimmen die bei Jordan Moder und Jordan, Neffe Samsons, angegebenen Daten mit dem zehn Jahre gültigen Judenbrief vom 25. Juli 1320 (NO01, Nr. 94) überein, was jedoch keine weitere zeitliche Präzisierung ermöglicht. Der Eintrag könnte demnach in den Jahren 1321 bis 1326 erfolgt sein. Das deckt sich mit dem Handschriftenbefund. Die älteren Zeilen der die Juden betreffenden Passage entsprechen der Hand des Schreibers Heinrich von Voshole, in der auch die frühen Judenbriefe aus den Jahren 1320 bis 1321 (NO01, Nr. 74, NO01, Nr. 92, NO01, Nr. 94, NO01, Nr. 99) eingetragen worden sind und der als Schreiber von 1315 bis 1324 wirkte. Auch die Nachträge ähneln dieser Hand und sind keinesfalls den Händen Johannes' von Derneburg oder Arnolds zuzuschreiben, die im Verwaltungsbuch mit Einträgen bis April 1329 beziehungsweise 1338 nachgewiesen sind; vgl. dazu Steinberg, Goslarer Stadtschreiber (1933), S. 23-33 und 61 f. (mit Tafel I und II). Als zeitlicher Rahmen wird deshalb 1321 (ab dem 13. April) bis 1324 angenommen. GJ 2, 1, S. 286 datiert auf die Zeit um das Jahr 1325; Fischer, Judenprivilegien (1936), S. 146, setzt die Liste zum Judenschoß auf die Zeit zwischen 13. Oktober 1323 und Ostern 1326 (Ersteinträge) und Mitte 1329 (Nachträge).
(2) Der Schreiber hielt die Summe der Schoßeinnahme bewusst vage. Das hängt damit zusammen, dass der Judenschoß von der Judengemeinde insgesamt zu leisten war und deshalb Rücksicht auf deren Finanzkraft zu nehmen war. Diese konnte sich durch Zu- und Wegzug und veränderte Vermögensverhältnisse ebenso wandeln wie auch durch die Exemtion einzelner Gemeindemitglieder von eben jenem Schoß durch die sogenannten Judenbriefe; vgl. NO01, Nr. 74. Es ist davon auszugehen, dass der Rat den Schoßbetrag der Gemeinde anpasste, wenn diese durch Erteilung von Privilegien Schoßzahler verlor; vgl. Fischer, Judenprivilegien (1936), S. 103 f. und 113.
(3) Juni 24.
(4) Dezember 25.
(5) Der Jude Samson ist möglicherweise mit dem im Judenbrief von 1312 (NO01, Nr. 74) Begünstigten identisch. Die dort angegebenen Zahlungstage sind passend, nicht aber die Höhe der Zahlung. Im Judenbrief werden jeweils 1 1/2 Mark fällig, die Samson allerdings gemeinsam mit seinem Sohn Mose zu entrichten hatte. Man kann vielleicht von einem weiteren, heute verlorenen Judenbrief ausgehen; vgl. NO01, Nr. 84.
(6) September 29.
(7) Ein Goslarer Jude namens Kalman ist nicht weiter belegt. Sein Judenbrief ist also wohl nicht überliefert; vgl. NO01, Nr. 108.
(8) Die unter dem Namen Jordanes Moder verzeichnete Kopfsteuer lässt sich ausschließlich mit dem Judenbrief für einen Jordan vom 25. Juli 1320 (NO01, Nr. 94) hinsichtlich Höhe der Kopfsteuer und Zahlungsdaten in Einklang bringen. Die übrigen für einen Jordan bekannten Judenbriefe passen nur bedingt: Bei zweien stimmt allein die Höhe der Kopfsteuer (NO01, Nr. 134, NO01, Nr. 145), bei einem (NO01, Nr. 212) keine Angabe überein; vgl. unten Anm. 12.
(9) Sonderreglungen mit dem Juden Jordan von Derneburg werden in den Judenbriefen vom 13. April 1321 (NO01, Nr. 99), 18. März 1330 (NO01, Nr. 135) und vom 21. Dezember 1333 (NO01, Nr. 155) genannt. Hinsichtlich Höhe (zwei Mark/Jahr) und Laufzeit (fünf Jahre) stimmt allein der Judenbrief vom 13. April 1321 (NO01, Nr. 99) mit den hier gemachten Angaben überein, der Judenbrief vom 18. März 1330 (NO01, Nr. 135) hat lediglich eine identische Laufzeit, der vom 21. Dezember 1333 (NO01, Nr. 155) weicht in beiden Details ab. Der Eintrag könnte demnach aus den Jahren 1321 bis 1326 stammen.
(10) Zum Teil von anderer Hand.
(11) Die hier (Jordan, Neffe Samsons) in Betracht kommenden Judenbriefe vom 25. Juli 1320 (NO01, Nr. 94) und 25. Februar 1330 (NO01, Nr. 134) lassen sich hinsichtlich der Höhe der Kopfsteuer mit den hier gemachten Angaben in Einklang bringen, aber nur der Judenbrief vom 25. Juli 1320 (NO01, Nr. 94) nennt die richtigen Zahldaten. Wenn es sich aber hierbei bereits um den Judenbrief Jordan Moders (s. oben Anm. 9) handelt, wäre der hier verzeichnete Judenbrief verloren; vgl. NO01, Nr. 84.
(12) Die unter dem Namen Jordan Widoge und Smarian verzeichneten Angaben lassen sich mit keinem bekannten Judenbrief für einen Jordan (NO01, Nr. 94, NO01, Nr. 134, NO01, Nr. 145 oder NO01, Nr. 212) in Einklang bringen. Ein Jude namens Smaria ist bisher nicht nachgewiesen. Zwei weitere unbekannte oder mindestens ein weiterer unbekannter Judenbrief sind zu vorauszusetzen; vgl. NO01, Nr. 84.
Überlieferung:
Goslar, StadtA, B 825, fol. 160r, [Nr. 492], Abschr. (1. Hälfte 14. Jh.), dt., Perg.
- UB der Stadt Goslar 4, Nr. 406, S. 290-293, hier: S. 291 f.
- GJ 2, 1, S. 284 und 286;
- Fischer, Judenprivilegien (1936), S. 144-149;
- Rösel, Reichssteuern (1910), S. 28.
Kommentar:
Neben den sogenannten 'Judenbriefen' der Stadt Goslar (NO01, Nr. 74, NO01, Nr. 92, NO01, Nr. 94, NO01, Nr. 99, NO01, Nr. 134, NO01, Nr. 135, NO01, Nr. 137, NO01, Nr. 141, NO01, Nr. 142, NO01, Nr. 143, NO01, Nr. 145, NO01, Nr. 146, NO01, Nr. 147, NO01, Nr. 148, NO01, Nr. 149, NO01, Nr. 150, NO01, Nr. 154, NO01, Nr. 155, NO01, Nr. 156, NO01, Nr. 161, NO01, Nr. 162, NO01, Nr. 164, NO01, Nr. 166, NO01, Nr. 167, NO01, Nr. 206, NO01, Nr. 207, NO01, Nr. 212) enthält das 1320 begonnene Verwaltungsbuch (Erstes Verwaltungsbuch bzw. Gleichzeitiges ältestes Kopialbuch des Rates zu Goslar) weitere - in niederdeutscher Sprache abgefasste - Notizen zu jüdischen Belangen: 1. Ein Verzeichnis der Einnahmen der Stadt Goslar aus Grundstücken, Zinsen und Abgaben, das u. a. auch die Einnahmen aus dem Judenschoß und aus der Kopfsteuer einzelner Juden enthält. Der Eintrag ist nicht datiert, wird aber vom Herausgeber des Urkundenbuches auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts festgesetzt. Sicher ist, dass das Verzeichnis keinen Stand zu einem festen Stichtag wiedergibt, sondern auch in späterer Zeit aktualisiert wurde und keinesfalls alle jemals kopfsteuerpflichtigen Juden erfasst hat (hier). 2. Der Rat beurkundet die Aufteilung der Goslarer Juden in zwei Gemeinden und Synagogen, vom Jahr 1331 (NO01, Nr. 144). 3. Abschrift einer Ratsurkunde vom 12. Oktober 1334, die die Zusicherung für die Juden enthält, nach Judenrecht leben zu können (NO01, Nr. 94). 4. Abschrift der Urkunde des Rates zur Überlassung der neu errichteten Judenschule im Gosewinkel, ausgestellt am 1. November 1338 (NO01, Nr. 187). 5. Kopie der Ratsurkunde vom 6. Dezember 1347 für den Juden Abraham und seinen Sohn Asser sowie für andere Juden Goslars hinsichtlich der ihnen erteilten Freiheiten (NO01, Nr. 272).
(Johannes Deißler) / Letzte Bearbeitung: 22.01.2021
Zitierhinweis
Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, NO01, Nr. 100, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/NO01/NO-c1-0033.html (Datum des Zugriffs)
Lizenzhinweis
Die Datensätze stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und können unter Berücksichtigung der Lizenzbedingungen frei nachgenutzt werden. Sofern nicht anders angegeben, sind die verwendeten Bilder urheberrechtlich geschützt.
Einleitung
Ausführliche Informationen zu Juden in den norddeutschen Bistümern finden Sie demnächst in der Einleitung von Johannes Deißler.
Zur Einleitung