Von Werra und Leine bis zum Bober: Quellen zur Geschichte der Juden in Thüringen und Sachsen

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281 Quellen in diesem Teilcorpus. Sie sehen die Quelle 55.

Thüringen/Sachsen 1, Nr. 55

1293 November 11, Erfurt

Eingang der Freizinszahlungen in Erfurt im Freizinsbezirk St. Severi. Mehrere Bürger zinsen unter anderem für Gebäude und Grundstücke, die von Juden bewohnt sind, zu Juden benachbart sind oder in der Judengasse liegen. Gegen Ende der gesamten Liste finden sich die jüdischen Freizinszahler, die für Höfe oder Hofanteile Zahlungen leisten. Die jüdische Gemeinde zahlt Freizinsen für ein Gehöft, die Mikwe, den Friedhof und die Synagoge. Zu etlichen Freizinsgütern werden die Vorbesitzer genannt.

fol. 1r

Anno domini M CC LXXXXIII fricins datus est in ecclesia sancti Severi in Erfordia in festo Martini

fol. 4r

[1] Bertold de Arnstete […]

(1) Item de curia Vivis apud plateam Crutgazze (2) VI d.

[…]

[2] Bertold de Tutelstede et Ludwig de Tutilstete et Reinhardus de Gota de curia Fabe iudee VIII den.

[…]

[3] C. de Hersfeldia de curia quondam Vol. de Gota II sol.

[…]

Item de [do]mo adiacente frigido balneo X den.

[…]

[4] Item C. de Hersfeldia et H. de Alich […]

Item de domo adiacente lapidee domu Vivis VI den.

fol. 5r

[5] Gotsalcus Kerlingerus iunior […]

Item de curiis in platea iudeorum II den.

fol. 5v

[6] H. et B. de Arnstete de tribus domibus iudeorum apud Cruitstein I den.

[…]

Item de orto sito iuxta cimiterium iudeorum III obl.

[…]

[7] (3) Item H. de Gotha de curia Habraham judei apud Cruitstein I sol.

fol. 9v

[8] Tilo de Saxa et C. de Lacu […]

[…]

Item de curia Ysacs II den.

(4) Item de curia Vivis in platea Cruitgasse VI d.

fol. 10r

[9] Th. de Lubelin […] (4)

Item de duabus curiis inter iudeos quondam fratri (5) IIII den.

fol. 11v

[10] Habraham, filius Baruch de Blankenhain, de curia apud frigidum balneum VI d. (6)

[11] Habraham de Rotenborc de dimidia lapidea curia, quam Vivis inhabitat VI d.

[12] Filii Baruch de Ysenach de curia quondam Hotirman IIII d.

[13] Bonefant, gener Joseps, de curia sua IIII d.

[14] Comunitas iudeorum de vico et de frigido balneo II d., de cimiterio iudeorum VI d., de scola iudeorum XVI d.

[15] Joselin, filius Meigeri, de curia quondam Gigantis VIII d.

[16] Joseph de Babenberc de curia sua iuxta Giselbertum XL d.

[17] Moyses in platea Crutgaze de curia sua I sol.

[18] Meigerus et frater suus Felix de curia Bendelonis III d.

[19] Piscis iudeus de curia sua contra scolas I sol.

[20] Item Piscis et Selickint de dimidia curia Anshelmi XV d.

[21] Salomon, iudeus de Werceborc, de curia quondam Riche iudee I sol.

[22] Josekint de dimidia curia quondam Anshelmi, patris sui XV d.

[23] Salmon de Assaphtenborc de curia in qua est I d.

[24] Sehelin et Moyse de curia quondam Ottonis Pletener XIII d.

[25] Zalip et Selickint de curia apud Brunonem IIII d.

[26] Item Piscis et Habraham de Roteborc de curia lapidea, qua transitur ad scolas II d.

(1) Die gesamte Zeile zum Hof des Vives wurde nachträglich eingefügt.

(2) Hinter Crutgazze folgt ein nicht lesbares Wort mit mehreren aufeinanderfolgenden i, u oder m, in der Mitte ein q oder p. Es scheint zudem, als wurde es über ein anderes, getilgtes Wort geschrieben. In der nachfolgenden Liste wurde dieses Wort ganz weggelassen.

(3) Die gesamte Zeile wurde nachträglich eingefügt.

(4) Die gesamte Zeile wurde gestrichen.

(5) Zwischen den ersten zwei Einträgen zu den Freizinsen des Th. von Lublin und dem Eintrag zu den Höfen inter judeos sowie weiteren Freizinsgütern wurden zwei Einträge zu Th. von Varila eingeschoben. Dass die weiter unten stehenden Einträge dennoch zu Th. de Lubelin gehören wird durch eine Verbindungslinie verdeutlicht und bestätigt sich in den Einträgen des Folgejahres.

(6) Die Lesung von fratri ist unsicher, lässt sich jedoch auch im Eintrag des Folgejahrs so vermuten.

(7) Das Wort balneum und die Zinssumme stehen eine Zeile tiefer, hinter dem nächsten Eintrag.

Überlieferung:

Magdeburg, LHA, Cop. 1399 A 1, fol. 1r-12v, Orig.; recherche.lha.sachsen-anhalt.de/digital/Cop__Nr_1399a_1.xml (Digitalisat), lat.

  • Kroner, Festschrift (1884), S. 45.
  • Lämmerhirt, Anfänge (2015), S. 68, 73 f., 77 f., 80 f. und 85-88;
  • Matut, Reinheit (2015), S. 51-54;
  • Lämmerhirt, Friedhof (2013), S. 15;
  • Sczech, Zum archäologischen Umfeld (2010), S. 22-25;
  • Stürzebecher, Schatzfund (2010), S. 151 f. und 154 f.;
  • Nitz, Wohnquartier (2010), S. 326-328 und 330;
  • Lämmerhirt, Erfurt (2010), S. 342;
  • Ruf-Haag, Juden (2009), S. 68-72;
  • Nitz, Stadt – Bau (2005), S. 85, vgl. auf beiliegender CD die Karte und den Ordner "Daten".

Kommentar:

Die Freizinsregister der Stadt Erfurt listen die Namen der Freizinszahler, ihr Freizinsgut und die daran gebundenen Freizinsen auf. Freizinsgüter waren zumeist Höfe (curiae) und Hufen (mansi), aber auch andere Gebäude, Äcker, Gärten oder Weingärten. Zum Teil waren die Grundstücke vom Mainzer Erzbischof an Neusiedler vergeben worden, zum Teil wurden sie im Nachhinein zu Freizinsgut umgewidmet. Als Erbgut konnten sie vom Eigentümer frei und uneingeschränkt genutzt, verpachtet oder verliehen werden. Eingeschlossen war das Recht, darauf zu handeln oder Gebäude zu errichten. Die jährliche Erhebung der Freizinsen erfolgte für die Güter rechts der Gera zumeist in der Kaufmannskirche (ecclesia mercatorum) durch den Marktmeister. Die Güter links der Gera zinsten vorwiegend in der Kirche St. Severi dem Brühler Schultheißen. Weitere Freizinsen gingen spätestens ab 1282 an den Propst des Marienstifts, von welchen aber nur die Register von 1383, 1546 und 1691 überliefert sind; vgl. Heinemeyer, Erfurter Freizinsrecht (2012), S. 10 und 49 f.; Nitz, Wohnquartier (2010), S. 325-330; Ruf-Haag, Juden (2009), S. 67-70; Wolf, Erfurt (2005), S. 7-11; Nitz, Stadt – Bau (2005), S. 65-70; Friedland, Bürgerfreiheit (2001), 57 und 65 f.

Ein frühes Freizinsregister beider Hebestellen, St. Severi und Mercatorum, mit Zinszahlungen für die Mikwe, von der jüdischen Gemeinde und von der Frau des Rabbiners datiert in die Jahre 1250/56. Weiterhin sind die Freizinsregister St. Severi für 1293 und 1294, von 1321-1332 und wieder ab 1350 erhalten. Sie erwähnen Häuser in der Judengasse, jüdische Hausbewohner in Häusern von Christen sowie zahlreiche jüdische Freizinszahler. Der Bezirk Mercatorum dagegen schloss nur wenige Häuser im Bereich des jüdischen Wohnquartiers ein und weist generell eine geringere Anzahl an Freizinsgütern auf. Folglich finden sich in den Freizinsregistern Mercatorum, die mit kleineren Lücken ab 1310 erhalten sind, nur vereinzelte Erwähnungen von Juden (vgl. zu 1310 TW01, Nr. 102). Insgesamt sind 357 Register beider Hebestellen bis zum Ende der Erfurter Selbständigkeit 1664 überliefert; vgl. Heinemeyer, Erfurter Freizinsrecht (2012), S. 10; Nitz, Wohnquartier (2010), S. 325-330; Nitz, Stadt – Bau (2005), S. 65 und 67; Friedland, Bürgerfreiheit (2001), S. 60-63.

Zu Beginn der auf linierten Blättern eingetragenen Listen stehen die Freizinsen der Orden und geistlichen Einrichtungen. Es folgen in alphabetischer Reihenfolge die Namen der christlichen Freizinszahler sowie unter P die Geistlichen (plebani) der Pfarreien. Die meisten christlichen Freizinszahler hatten mehrere Freizinsgüter inne, darunter vereinzelt Häuser, die von Juden bewohnt waren oder in der Judengasse lagen. Gegen Ende der Liste sind die jüdischen Freizinszahler aufgeführt, die für Häuser, Höfe, später häufig Hofanteile (z.B. halbe, Dreiviertel, Drittel Höfe) und nur vereinzelt für mehrere Höfe zinsten. Als Hausbezeichnung fungierten oft und teils über Jahrzehnte hinweg die Namen früherer Besitzer. Nur im Freizinsregister Mercatorum findet sich ab 1335 eine jüdische Familie mit ihrem Hof inmitten der Liste der christlichen Freizinszahler (TW01, Nr. 219). In beiden Freizinsregistern erscheint zudem die jüdische Gemeinde mit Freizinszahlungen für den Gemeindebesitz. Die Zinsbeträge werden in Denaren (den.) und vereinzelt in Schillingen (sol.) oder Obolen (obl., 1 Obolus entspricht 1/2 Denar) angegeben. Der Liste der jüdischen Freizinszahler folgen im Register St. Severi weitere Einträge zu christlichen Zinszahlern, die vielleicht ursprünglich als Nachträge an diese Stelle gelangten sowie Listen zu Zahlungen an bestimmte Abgabestellen des Erzbischofs. Datiert sind die Register auf den 11. November. Am Ende der Listen sind jedoch die Einnahmen von bis zu sieben Tagen notiert, und auch eine Freizinsordnung von 1495 erwähnt einen Erhebungszeitraum von einer Woche, der allerdings am 12. November begann; vgl. Magdeburg, LHA, Cop. Nr. 1399a 1; Cop. Nr. 1399a 2; Friedland, Bürgerfreiheit (2001), S. 60.

Das Wohnquartier der Erfurter Juden lässt sich direkt im Stadtzentrum, vor allem in der Judengasse, der Michaelisstraße und der Krutgasse (oder Kreuzgasse) lokalisieren. Die mehrmals verwendete Ortsbezeichnung inter judeos meint wohl allgemein das von Juden bewohnte Gebiet. Westlich der Michaelisstraße lag die von Häusern umgebene Synagoge, zu welcher zwei Durchgänge durch die nördlich und südlich benachbarten Höfe führten; siehe auch TW01, Nr. 102 zum Freizinsregister Mercatorum 1310; vgl. Nitz, Stadt – Bau (2005), S. 85 f. (mit Karte); Nitz, Wohnquartier (2010), S. 330 (Karte). Da die Freizinsregister nicht zu allen Häusern die Hausbewohner namentlich aufführen, könnten außer den als Mietern oder Freizinszahlern ausdrücklich genannten Juden noch weitere jüdische Familien in Erfurt gelebt haben.

Die Namenlisten wurden wohl regelmäßig aus dem Register des Vorjahres abgeschrieben, weshalb sich auch regelmäßig einzelne Abschreibefehler wiederholen. Mehrfach wurden Änderungen aufgrund eines Besitzerwechsels des Freizinsguts vorgenommen, wenngleich sich die neuen Besitzer nicht immer in der nachfolgenden Liste identifizieren lassen. Gelegentlich wurden die Einträge zu einer Person oder einem Hof umgestellt und nacheinander angeordnet. 1323 erfolgte bei den jüdischen Freizinszahlern im Register St. Severi eine komplette Neuordnung und zugleich Aktualisierung der Liste. Manche Namen jüdischer Freizinszahler erscheinen hier allerdings von 1321 bis 1350 unverändert. Möglicherweise wurden Besitzerwechsel nicht eingetragen, wenn die Witwe oder die Kinder eines Verstorbenen das Haus behielten, sondern nur, wenn eine neue Familie das Haus übernahm. So wird im Register St. Severi von 1350 der Jude Koplin genannt, während in anderen Quellen ab 1341 nur seine Witwe erscheint; vgl. ausführlich ###TW-c1-004k###zu 1350. Kaum Änderungen erfuhren die Freizinsregister nach der Verfolgung im März 1349. In beiden Registern werden beinahe alle Namen der jüdischen Freizinszahler weiterhin jährlich notiert; vgl. ausführlich ###TW-c1-002k### zum Freizinsregister Mercatorum 1349 und ###TW-c1-004k### zum Freizinsregister St. Severi 1350.

Kroner, Festschrift (1884), S. 45-48, gibt die Einträge zu den jüdischen Freizinszahlern im Bezirk St. Severi für die Jahre 1293, 1321 und 1350 zwar als Ganzes, aber teilweise fehlerhaft wieder. Aus den weiteren überlieferten Registern führt er nur die neuen Einträge auf, zum Teil allerdings verspätet. In der bisherigen Literatur wurde zum einen auf diese auszugsweise Edition Bezug genommen, zum anderen auf die im Stadtarchiv Erfurt befindlichen Vorarbeiten und Abschriften von Kurt Göldner; vgl. Nitz, Stadt – Bau (2005), S. 67 und 276 f.; Friedland, Bürgerfreiheit (2001), S. 64.

(mlä.) / Letzte Bearbeitung: 15.02.2016

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, TW01, Nr. 55, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/TW01/CP1-c1-00h6.html (Datum des Zugriffs)

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