Von Werra und Leine bis zum Bober: Quellen zur Geschichte der Juden in Thüringen und Sachsen

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281 Quellen in diesem Teilcorpus. Sie sehen die Quelle 39.

Thüringen/Sachsen 1, Nr. 39

1287 Mai 2

Gunther [IX.], Graf in Schwarzburg, Vormund der Kinder seines verstorbenen Bruders Heinrich [V.], Graf in Schwarzburg, hat für seine Schulden dem Juden Anselm in Neustadt sein Allod in Gräfendorf als Pfand gegeben, das Anselm bei ausbleibender Zahlung als freies Eigentum verbleiben soll. Damit Graf Gunther und seinen Neffen kein Schaden entsteht, will er auf Anraten seiner Ritter und mit Zustimmung seines Bruders G[unther], Domherrn zu Magdeburg, vier Hufen Land in Seebergen verkaufen, um das Pfand auszulösen. Graf Gunther hat dafür dem Kanoniker Gunther seine Mühle in Stadtilm gegeben und den Nonnen zu Stadtilm als Besitz übertragen. Den Nonnen ersetzt er so die acht Mark jährlicher Einkünfte in den Ämtern in Saalfeld, die er ihnen widerrechtlich vorenthalten hat. Zeugen sind Hermann, genannt Greich, Rudolf von Heilingen, Konrad von Beulwitz, Otto von Greußen, Friedrich von Witzleben und andere.

Nos Guntherus, comes in Swarzburch. Universis ad quos presens scriptum pervenie. Volumus esse notum, quod cum dilectus frater noster, Henricus comes in Schwarzburch esset mortuus, et nobis tutelam suorum puerorum fideliter commisisset, nos vero cum essemus multis debitis obligati (1) et precipue allodium nostrum in Gravendorf fuisset Judaeo de Noua civitate, dicto Enselmo, obligatum tali pacto, ut si termino statuto non redimeremus. Quod tunc sibi absque contradictione maneret, et titulo proprietatis liberae suum esset, fecimus quod potuimus de consilio nostrorum militum et castellanorum, ut et nobis et filiis fratris nostri dampna caveremus, et ne iam dictum allodium perderemus, rogavimus et induximus dilectum fratrem nostrum G[untherum] (2) Magdeburgensis ecclesie canonicum, ut quatuor mansos in Sebergen venderet perpetuo, quos ad tempora vitae sue habere debuit, et nobis in subsidium redemptionis illam pecuniam daret. Et nos pro inde ipsi molendium nostrum in Ilmene dedimus et proprietavimus sanctimonialibus in Ilmene propter deum perpetuo possidendum. Attendentes quod obligati fuimus refundere dominabus in Ilmene VIIIᵒ. marcas annalium reddicium in officiis in Salvelt, quas ipsis contra iustitiam abstulimus, et Ideo pro remedio anime fratris nostri, sicut petiit, cum esset positus in fine vitae suae, et pro nobis eciam ista bona fuerunt vendita, de consilio nostrorum militum et castellanorum, ut exinde aliqualis fieret recompensatio dominabus et hoc praesenti litera publice protestamur. Testes hujus sunt, Hermannus dictus Greich, Rudolphus de Heilingen, Cunradus de Bulwiz, Otto de Gruzhen, Fridericus de Wizeleyben et plures alii fide digni. Datum et actum anno domini millesimo. Cᵒ Cᵒ LXXXVIIᵒ, VIᵒ. nonas maii.

Rückvermerk:

1) hy egint man eyne mul zu Ylmene (14. Jh.); 2) 6 nonan […] (frühneuzeitlich, ein Wort mit drei Buchstaben unleserlich); 3) 1387 Otto (frühneuzeitlich, Otto gestrichen); 4) Grave Gunther von Schwartzburg begebet das closter Ilmen mitt eine muhle zu Jlmen (frühneuzeitlich); 5) Signaturvermerke

(1) Das Wort obligati steht über der Zeile.

(2) Der Name ist nur abgekürzt, ergibt sich aber aus anderen Nachrichten.

Überlieferung:

Rudolstadt, StA, Sondershäuser Urkunden 1287 Mai 2, Reg. 151, Orig., lat., Perg.

  • Werner, Neustadt (1997), S. 21 (nur Abb.);
  • Urkunden zur Geschichte der Juden in ihren Originalsprachen 1, S. 44-47 (mit dt. Übers.);
  • Ayrmann, Sylloge 1 (1746), Nr. 14, S. 269 f.
  • Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer 4, Nr. 9939, S. 577;
  • Regesta Thuringiae 4, Nr. 2729, S. 388.
  • Lämmerhirt, Anfänge (2015), S. 77 f.;
  • GJ 2, 2, S. 583 f.;
  • Flach (1942), 69 und 98.

Kommentar:

Zur Einordnung der Brüder und zu dem Namen des Kanonikers vgl. Eberl, Frühe Geschichte (1995), S. 117 und 119.

Erstmals im Register der Regesta Thuringiae wird vermutet, das hier genannte Neustadt könnte mit Neustadt an der Orla gleichzusetzen sein, während eine Identifizierung mit Neustadt an der Saale offenbar ausgeschlossen wird; vgl. Regesta Thuringiae 4, Nr. 2729, S. 481. In der späteren Literatur wird dies nicht weiter diskutiert und nur die Zuweisung zu Neustadt an der Orla übernommen, das um 1287 den Herren von Arnshaugk unterstand und kurz darauf an die Wettiner überging; vgl. Flach (1942), S. 98; GJ 2, 2, S. 583 f.; Werner, Neustadt (1997), S. 50 und 56 f. Grund für die Gleichsetzung mit Neustadt an der Orla ist wohl dessen Nähe zu dem als Pfand gesetzten Gräfendorf.

Allerdings sind keine weiteren Nachrichten zu Juden in Neustadt an der Orla bekannt. Auch in dessen weiterer Umgebung sind vor 1300 keine Juden nachgewiesen. Überdies gibt es für diese Zeit im Gebiet zwischen Harz und Thüringer Wald sonst keine Belege zum Geldhandel von Juden, die außerhalb Erfurts leben.

In diesem Kontext ist zu beachten, dass in der vorliegenden Urkunde Neustadt wohl der Herkunftsname Anselms ist und nicht zwingend der Wohnort. Als Wohnort Anselms käme daher auch Erfurt in Frage, wo bereits vor 1300 Belege zum Geldhandel von Juden einsetzen und wo ebenfalls vor 1300 jüdische Familien aus dem dichter von Juden besiedelten Franken zuwanderten; vgl. Lämmerhirt, Anfänge (2015), S. 77 f. Anselm könnte möglicherweise aus dem fränkischen Neustadt an der Saale stammen, das anlässlich der Rintfleischverfolgungen 1298 als Siedlungsort von Juden genannt wird (NM01, Nr. 25I. Ebenso könnte er mit dem 1293 als Vorbesitzer eines Hauses in Erfurt genannten Anselm identisch sein (TW01, Nr. 55, Nr. 20 und 22).

(mlä.) / Letzte Bearbeitung: 12.02.2016

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, TW01, Nr. 39, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/TW01/TW-c1-003o.html (Datum des Zugriffs)

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