Von Werra und Leine bis zum Bober: Quellen zur Geschichte der Juden in Thüringen und Sachsen

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Thüringen/Sachsen 1, Nr. 79

1303 [März 14]

Der zur Überlieferung von Wundergeschichten neigende Pfarrer Siegfried von Ballhausen berichtet in zeitlicher Nähe zu den Ereignissen im unweit von Groß-Ballhausen gelegenen Weißensee in seiner Chronik: Im Jahre 1303 haben die ungläubigen Juden (perfidi iudei) nach Christenblut dürstend einen Schulknaben namens Konrad (puerum scolarem nomine Conradum), den Sohn eines gleichnamigen miles in Weißensee, einer thüringischen Stadt (filium cuiusdam militis eidem nominis (1) in Wizzense, civitate Thuringie), vor dem Paschafest (ante festum pasche) (2) grausam umgebracht, indem sie ihm viele Martern zufügten und alle Nerven und Venen aufschnitten, um ihm sein gesamtes Blut zu entziehen. Da der allmächtige Gott jedoch nicht wollte, dass der Tod des unschuldigen Knaben verborgen bleibe, zeigte er das Martyrium durch zahlreiche Wunder an und gab die Mörder (homicidae) preis. Als nämlich die erwähnten Juden den getöteten Knaben in mehrere thrüringische Orte führten, um ihn zu begraben, wusste Gott dies jedesmal zu verhindern, sodass sie den Leichnam wieder in die Stadt Weißensee (civitas Wizzense) brachten, wo sie ihn in einem Wingert aufhängten. Nachdem der grausame Mord ruchbar geworden war, stürmten die Burgbesatzung (milites de castro) (3), die Bürger der Stadt und das übrige Volk gemeinsam mit Markgraf Friedrich, dem Sohn des thüringischen Landgrafen Albrecht (et cives eiusdem civitatis reliquumque vulgus una cum marchione Friderico, filio landgravii Thuringiae Adelberti) (4), herbei und töteten die Widerstand leistenden Juden (iudei repugnantes). Am Grab des neuen Märtyrers versammelten sich beständig Leute, um den zahlreichen Wundern beizuwohnen.

(1) Die Bezeichnung eiusdem nominis fehlt in der Edition.

(2) Das Nürnberger Memorbuch gibt als Datum der Verfolgung zuverlässig den 14. März 1303 an (NM01, Nr. 70). Das christliche Osterfest war erst am 7. April, das jüdische Pessachfest begann am 10. April. Sollte die zeitliche Angabe der Cronica s. Petri Erfordensis moderna korrekt sein, wonach der Leichnam drei Tage lang in einer Hütte in einem Weinberg gehangen hatte, ehe er gefunden wurde und die Juden in Weißensee umgebracht wurden (TW01, Nr. 78), wäre der Knabe am 11. März ums Leben gekommen, am Tag des Purimfests.

(3) Es handelt sich um die später als Runneburg bezeichnete Burg Weißensee.

(4) Die Beteiligung Markgraf Friedrichs (des Freidigen) von Meißen (1291-1323; von 1307 bis 1323 Landgraf von Thüringen) lässt sich durch andere zeitgenössische Quellen nicht erhärten. Explizit auszuschließen ist Friedrichs Beteiligung allerdings auch nicht, wie dies Keller, Kammerknechte (2000), S. 283, Anm. 39, unter Verweis auf Gretschel, Geschichte 1 (1841), S. 251, annimmt. Dort findet sich allerdings kein entsprechender Beleg. Sollten die Juden von Weißensee allerdings den Kammerknechten des Reiches zuzurechnen sein, die König Rudolf I. am 9. Mai 1287 dem Mainzer Erzbischof Heinrich von Isny (1286-1288) übertrug (

Überlieferung:

Erlangen, UniBib, Cod. 410 (Historia universalis), fol. 241r/v, Orig., lat., Perg.; Leipzig, UniBib., Cod 1305, fol. 306v (Orig.).

  • Compendium historiarum Sifridi de Balnhusin, S. 715 f.;
  • zu den älteren Ausgaben vgl. Holder-Egger in der Einleitung der Edition.
  • Lämmerhirt, Ritualmordlegende (2007), S. 747 f.;
  • Lämmerhirt, Juden (2007), S. 17;
  • Möncke, Konrad (2006), S. 277;
  • Schlegel, Juden (1998), S. 170;
  • Treue, Christen (1992), S. 109;
  • GJ 2, 2, S. 875 f.;
  • Neufeld, Juden 1 (1917), S. 59 f.

Kommentar:

Zu den Verfolgungen von Weißensee vgl. auch TW01, Nr. 78, TW01, Nr. 80 und TW01, Nr. 77. Zur Chronik Siegfrieds von Ballhausen vgl. ###TR-c1-0008###. Siegfrieds Darstellung der Verfolgung ist ausführlicher als diejenige der Erfurter Peterschronik (TW01, Nr. 78), doch zeigt sich auch deutlich Siegfrieds Neigung zu Wundergeschichten; vgl. Lämmerhirt, Ritualmordlegende (2007), S. 747 f.

(jmü.) / Letzte Bearbeitung: 06.01.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2015, TW01, Nr. 79, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/TW01/TW-c1-006p.html (Datum des Zugriffs)

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