Herzog Rudolf überlässt der Stadt Spandau den Judenzins

15.06.2012, in:

1324 Mai 1

Vorderseite der Urkunde
Rückseite der Urkunde

Hzg. Rudolf I. von Sachsen-Wittenberg überlässt mit Datum vom 1. Mai 1324 dem Rat der Stadt Spandau (consulibus nostris in Spandowe) zur Befestigung derselben Stadt die Abgaben der Juden zu Spandau (censum nostrum annuum seu contributionem annuam nostram nostrorum Judeorum in Spandowe) für zwei aufeinanderfolgende Jahre.

Die vorliegende Urkunde findet sich im Teilcorpus "Brandenburg", das demnächst auf der Homepage eingestellt wird.

Überl.: Berlin, AStgM Spandau, IV U/25, Orig.; Perg.; lat.; Siegel fehlt; Rückvermerk: RV1: „Rudolphus h.“; RV2 [neuzeitl.]: „Privileg. Daß der Rath Zwey Jahr lang den Zinß von den Juden nehmen sollen [sic!]"; weiterhin: Registraturvermerke.Weitere Abschr.: eine Abschrift wird zusammen mit der Urkunde verwahrt.

Druck: Codex diplomaticus Brandenburgensis 1, 11, Nr. 39, S. 28 (nur dt., nach Dilschmann); DILSCHMANN, Geschichte (1785), Nr. 8, S. 136 f. (nur dt.; dort - wie bereits im Codex diplomaticus Brandenburgensis vermerkt - mit fehlerhafter Datumszeile (1334), aber korrektem Kopfregest).

Regest: Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer 5, Nr. 4235, S. 330; SCHULZE, Spandow 2 (1913), S. 5; Zum Codex diplomaticus, S. 22.

Lit.: POHL, Grabsteine (2008/2009), S. 176; POHL, Die jüdische Gemeinde Spandau (1988), S. 21 f. (v. a. Abbildung des Originals); GJ 2, 2, S. 773; HEISE, Juden (1932), S. 43-45; KOHSTALL, Chronik (1929), S. 15; SCHULZE, Spandow (1913), S. 555; HOLTZE, Geschichte (1874), S. 15; DILSCHMANN, Geschichte (1785), S. 105.

Nos Rudolphus dei gratia Saxonie Angharie Westphalie dux comes in Bren (1) [Bur]chraviusque (2) in Magdeburg, necnon sacri imperii marscalcus. Ad universorum notitiam tenore presentium cupimus pervenire publice protestantes, quod prudentibus viris et honestis, consulibus nostris in Spandowe fidelibus et dilectis nostris commisimus et in presentibus committimus (3) censum nostrum annuum seu contributionem annuam nostram (4) nostrorum Judeorum in Spandowe quam nobis erogare solent ad tollendum a donatione presentium ulterius ad duos annos continue numerandos dumtaxat quod ipsam contributionem in munimen civitatis nostre commitere debeant sive possint. In cuius evidentiam nostrum secretum sigillum presentibus est appensum. (5) Datum Spandowe anno domini millesimo tricentesimo vicesimo quarto in die Ste. Walburgis virginis.

Anm.:

(1) Die Grafschaft Brehna, südlich des Herzogtums Sachsen-Wittenberg gelegen, wurde 1290 nach Aussterben der Grafen von Brehna als erledigtes Lehen durch Kg. Rudolf I. auf seinen Enkel Hzg. Albrecht II. von Sachsen-Wittenberg, den Vater des hier ausstellenden Hzg.s Rudolf, übertragen. Somit gelang den Herzögen von Sachsen-Wittenberg eine - gemessen an den bisherigen Besitzungen - beträchtliche Ausweitung ihres Territoriums. Vgl. ASSING, [Art.] Askanier (2003), S. 36; sowie SCHWINEKÖPER, Geschichtliche Einführung (1987), LV und NEUß, [Art.] Brehna (1987), S. 55.

(2) Die ersten Buchstaben des Wortes sind unleserlich und wurden daher erschlossen. Die zunächst eigenwillig erscheinende Variante "burchravius" für Burggraf erscheint auch andernorts.

(3) Im Text steht commitsimus statt committimus.

(4) Zum Begriffspaar censum nostrum annuum seu contributionem annuam nostram vgl. den Kommentar.

(5) Das ehedem angehängte Siegel fehlt.

Kommentar:

1. Überlieferung und Edition:

Nachdem bei DILSCHMANN, Geschichte (1785), S. 136 f., Nr. 8, der Druck einer deutschsprachigen Fassung erfolgte und hiernach die Quelle im Codex diplomaticus Brandenburgensis 1, 11, S. 28, Nr. 39, ebenfalls in deutscher Sprache gedruckt wurde, wurde das Schriftstück in der Forschung als genuin deutschsprachig angesehen. Eine Kurzbeschreibung der Urkunde im Ausstellungskatalog "Bürger, Bauer, Edelmann. Berlin im Mittelalter", Nr. 103, S. 238, gab 1987 an, diese sei in lateinischer Sprache verfasst, jedoch ohne Verweis darauf, dass der hier ebenfalls angegebene Druck im Codex diplomaticus Brandenburgensis den Inhalt in deutscher Sprache wiedergibt. Eine Abbildung der Archivalie erfolgte danach bei POHL, Die jüdische Gemeinde Spandau (1988), S. 22. Die lateinische und die verbreitete deutschsprachige Fassung stimmen inhaltlich überein, die Bezeichnung der Consulibus nostris in Spandowe findet in den Burgermeistern und Rathmannen vnser Stadt Spandow eine Entsprechung. Die Überlieferungslage spricht dafür, dass die erste Urkunde ursprünglich in lateinischer Sprache ausgefertigt wurde. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass das Schriftstück gleichzeitig in deutscher und in lateinischer Sprache abgefasst wurde.

2. Historische Einordnung der Quelle:

Dieses Zeugnis der Überlassung von Rechten an den Einnahmen aus der jährlichen Abgabe der Juden ist im Zusammenhang mit den Expansionsbestrebungen Hzg. Rudolfs I. von Sachsen-Wittenberg einerseits und seinen Bemühungen um die Sicherung nicht unangefochtener Herrschaftsrechte in der Mittelmark andererseits zu sehen; vgl. SCHULTZE, Mark Brandenburg 2, S.14-17 und 20 f., sowie BECK, Herrschaft (2000), S. 149 f. und S. 202-205. Nachdem die Herrschaftsverhältnisse in der Mittelmark nach dem Aussterben der askanischen Markgrafen nicht eindeutig geregelt worden waren, versuchte Ludwig, der gleichnamige Sohn Kg. Ludwigs des Bayern, nach seiner Belehnung mit der Mark (im April 1323), seinen Herrschaftsanspruch durchzusetzen; vgl. hierzu auch SCHULTZE, Mark Brandenburg 2, S. 26 f. (mit falscher Druckangabe in Anm. 4). In diesem Zusammenhang ist beispielsweise das Bündnis mit Hzg. Otto von Braunschweig zu sehen, dem Ehemann von Woldemars Witwe Agnes (Codex diplomaticus Brandenburgensis 2, 2, S. 1-3, Nr. 601). In der ersten Hälfte des Jahres 1324 spitzte sich die Lage mit der Reise des neu belehnten, noch deutlich minderjährigen Markgrafen Ludwig, Graf Bertholds VII. von Henneberg und ihrer Begleiter zunächst in die Altmark und dann auch in die Mittelmark sowie mit der Abtretung des Agnetischen Wittums an Ludwig deutlich zu (SCHULTZE, Mark Brandenburg 2, S. 34-37); der Friedensschluss wird von Schultze erst für November 1324 angesetzt, wenngleich eine Ausgleichszahlung durch die Wittelsbacher an Rudolf I. erst unter der Bedingung des Verzichts auf alle Ansprüche in der Mark Brandenburg zustande kam. Trotz unsicherer Rechtsgrundlage gelang es Rudolf bis dahin, Herrschaftsansprüche durchzusetzen; vgl. BECK, Herrschaft (2000), S. 150 und S. 203. Dennoch kamen die Konflikte nicht gänzlich zum Erliegen; bis in die Zeit der luxemburgischen Herrschaft in der Mark war die Frage nach der Ausübung der Landesherrschaft stets umstritten. Die Affäre um den Falschen Woldemar ist ein Kulminationspunkt auf Landes- und Regionalebene mit weitreichenden reichspolitischen Implikationen, die letztlich - so BECK, Herrschaft (2000), S. 203 - zum endgültigen Scheitern der Ambitionen Sachsen-Wittenbergs in der Mark Brandenburg führten.

Spandau wurde bereits seit 1319 ummauert (vgl. Codex diplomaticus Brandenburgensis 1, 11, S. 25 f., Nr. 35, hier zwar mit Erwähnung von Juden, jedoch ohne einen explizit geäußerten Zusammenhang zwischen der Erbauung der Mauer und der Abgabe durch die Juden). Der Verbesserung einer Stadtbefestigung in Spandau kam in Zeiten drohender oder erfolgter kriegerischer Auseinandersetzungen und innerstädtischer Konflikte zwischen sächsisch-askanisch und wittelsbachisch gesinnten Parteiungen über den Verteidigungsaspekt hinaus auch symbolische Bedeutung zu. Schließlich war Spandau nicht nur Vogteiort, Proto-Residenzstadt und Hauptburg der späten Askanier gewesen (vgl. AHRENS, Residenz (1990), S. 335 f.; FEY, Reise (1981), S. 225 f. und S. 250 und die Itinerar-Karten 6 und 7; BÖCKER, [Art.] Spandau (2003), S. 537 f.); auch als wichtiger Handelsstützpunkt befand sich Spandau in exponierter Lage; vgl. FEY, Reise (1981), S. 59 f. oder etwa BOHM, Spandau (1983), S. 46-48 und S. 54 f., sowie SCHICH, Entstehung (1983), S. 61-63).

3. Interpretatorischer Ansatz zu Anmerkung 4 der Edition:

Während POHL, Grabsteine (2008/2009), S. 176, ausgehend von der deutschsprachigen Fassung, wie sie auch im CDB wiedergegeben ist, annimmt, dass bei der Nennung von schatzunge die "persönliche Vermögenssteuer des einzelnen in wechselnder Höhe" gemeint sein müsste, ist dem entgegenzuhalten, dass - legt man vergleichbare Verhältnisse in anderen Regionen des Reiches zugrunde - möglicherweise auch in Spandau die Jahresabgabe der Spandauer Juden von der jüdischen Gemeinde und somit für alle Gemeindemitglieder gemeinsam abgeführt wurde. Dass dann dennoch eine der jeweiligen wirtschaftlichen Potenz des einzelnen Gemeindemitglieds adäquate Umlage erfolgte, bleibt davon unberührt.

Ob tatsächlich eine fiskalisch zu beziffernde Jahresabgabe der Juden in Form der Gemeindesteuer und der Grundzinsabgaben den eigentlichen Mehrwert für die christliche Stadtgemeinde darstellte - wie beispielsweise bei HEISE, Juden (1932), S. 43-45, angedeutet -, bleibt zu diskutieren, zumal es für eine sichere Zuordnung der Begriffe bei jetziger Forschunglage nur wenige konkrete Anhaltspunkte gibt.

Die wohl attraktiveren Gerichtsgefälle aus Streitigkeiten zwischen Christen und Juden, die andernorts häufig im Zusammenhang mit Geldleihaktivitäten zu beobachten sind, finden hier keine Erwähnung.

Dennoch sollten auch die hier übertragenen Einnahmen - welcher Art und welchen Umfangs sie auch gewesen sein mögen - für den städtischen Haushalt eine entsprechende Rechengröße dargestellt haben, da es sich bei der jüdischen Gemeinde Spandaus um eine der größeren, wenn nicht die größte der Mark Brandenburg gehandelt haben dürfte.

Lässt theoretisch die Stellung der Pronomina auch einen Bezug der "nostrorum judeorum" auch auf die "contributionem annuam nostram" alleine zu - und ermöglicht somit auch die Lesart, dass das "censum nostrum annuum" keineswegs mit den Juden in Spandau in Verbindung gebracht werden muss -, so ist die Formulierung in der deutschsprachigen Fassung, wie sie der Kopialbucheintrag "H" des Kopiars Berlin, AStgM Spandau, IV B2/27 wiedergibt, doch konkreter. Nimmt man eine zeitgleiche oder zeitnahe Übertragung ins Deutsche an, so ist davon auzugehen, dass der Inhalt der Regelung noch so präsent gewesen sein dürfte, dass hier eine grundlegend fehlerhafte Übersetzung vermieden worden wäre.

jrc.

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