Quellen zur Geschichte der Juden in Frankfurt und der Wetterau (1273–1347)

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Reichsstadt Frankfurt und Wetterau 1, Nr. 49

[vor 1304]

In der neu aufgefundenen Handschrift der ehedem Rudolf von Schlettstadt zugeschriebenen Wundergeschichten gibt der Autor unter dem Titel De duobus Iudeis, qui Cristianum puerum occiderunt, vera historia folgende Erzählung wieder: In Frankfurt am Main (in Francfordia civitate ad Moganum) lebte ein guter, angesehener und reicher Schultheiß (scultetus bonus, honestus et dives) mit seiner Frau. Auch hatte er einen tüchtigen und gehorsamen Sohn, der auf eigene Veranlassung (proprio motu) hin in den Dominikanerorden eintrat; des Weiteren eine Tochter, die er sehr liebte, sowie ein großes Haus. Im unmittelbar daran angrenzenden Haus lebte ein Jude. An einem Feiertag eilte der Schultheiß nach dem Frühstück zu einer wichtigen Angelegenheit, während seine Frau, die Tochter und andere Angehörige der familia sich wie gewohnt zur Predigt in die Kirche begaben. In der Kirche befiel die Tochter des Schultheißen plötzlich Durchfall, so dass sie sich entschloss, gleich nach Hause zu eilen. Zu Hause legte sie sich zum Ruhen in der Kammer hin, die unmittelbar an das Haus des Juden grenzte. Als sie kurze Zeit dort gelegen hatte, hörte sie ein ungewöhnliches Geräusch aus dem Nachbarhaus, als ob eine schwere Last in den Räumen zu Boden geworfen würde. Sie dachte, dass es eventuell der Körper eines Menschen sein könnte. Als kurz darauf der Vater von seiner Tätigkeit zurückkehrte, teilte sie ihm ihre Vermutung mit. Sogleich begab dieser sich zum Haus des Juden, wo er an die verschlossene und sorgfältig bewachte Tür klopfte. Unter dem Vorwand, sein Sohn habe seinen goldenen Trinkbecher in das Haus des Juden geworfen, erhielt er mit seinen Bediensteten (sua familia) Einlass. Kurz darauf fanden seine Knechte (servi) bei der vermeintlichen Suche nach dem Kelch den leblosen Körper eines erst kurz zuvor ermordeten Menschen. (1) Die Juden behaupteten allerdings, bis auf zwei bei einer Hochzeit gewesen zu sein und nicht zu wissen, was sich im Hause abgespielt habe. Die beiden zur angeblichen Tatzeit im Haus Weilenden wurden dem Schultheiß von den übrigen Juden übergeben, gestanden die Tat und wurden am folgenden Tag gerädert. Während der Prozedur behauptete einer der beiden, neun unschuldige Christen getötet zu haben und bat um die Taufe, um im rechten Glauben aus dem Leben scheiden zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde.

(1) Dass es sich um einen Knaben handelte, geht lediglich aus der Überschrift der Wundergeschichte hervor.

Überlieferung:

Sigmaringen, Fürstlich Hohenzollernsche Hofbibliothek, Cod. 64, fol. 8r/v, Abschr. (16. Jh.), lat.

  • Wundergeschichtensammlung des Colmarer Dominkanerchronisten [ms.], Nr. 4.
  • Georges, Graf (1999), S. 15.

Kommentar:

Zu den Rudolf von Schlettstadt fälschlicherweise zugeschrieben Historiae memorabiles vgl. FUD:EL-c1-0001. Die vorliegende Wundergeschichte ist lediglich in der umfangreicheren Sigmaringer Handschrift zu finden, die bei der Edition von Kleinschmidt keine Berücksichtigung fand. Für die teilweise Überlassung des Manuskripts der demnächst als Neuedition nach der Sigmaringer Handschrift erscheinenden Historiae memorabiles danke ich Stefan Georges.

(jmü.) / Letzte Bearbeitung: 06.01.2017

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2011, FW01, Nr. 49, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/FW01/CP1-c1-028y.html (Datum des Zugriffs)

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