Quellen zur Geschichte der Juden im Bistum Konstanz (1273-1347)

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Bm. Konstanz 1, Nr. 164

1331 April 8, Esslingen

Bürgermeister, Rat und Schultheiß von Esslingen (Esselingen) teilen der christlichen Stadtgemeinde Reutlingens (Rûthelingen) auf deren Anfrage hin die Esslinger Zunftordnung mit. Die Zunftordnung gilt gleichermaßen für alle 13 Zünfte der Stadt Esslingen. Vor der Überlieferung der Zunftordnung teilen die Absender den Reutlingern mit, aus welchen Gewerken sich die die einzelnen Zünfte zusammensetzen und wer den Meister der Zunft stellt. In diesem Kontext wird bezüglich der Zunft der Ledergerber und Pergamentmacher, unter denen die Ledergerber den Meister stellen, die zusätzliche und ursprünglich wohl nicht einen verschriftlichten Bestandteil der Esslinger Zunftordnung bildende Information übermittelt, dass auch Juden in der Zunft tätig sein können, wenn sie die Aufnahmegebühr entrichten. Dennoch sollen sie weiterhin wie alle anderen Juden leben: Die Ledergaͤrwen und Bermitter haͧnt ouch ain und nement ain maister under den ledergaͤrwen. Und ist, daz ain Jude dar under wûrken wil, der muͦz die zûnft koͧffen und lebt doch als ain Jude in alle wise.

Es siegeln die Aussteller mit dem Stadtsiegel Esslingens.

Dirre brief wart geben ze Esselingen do man zalt von Gottes gebúrte driutzehenhundert jar und darnauch in dem aim und drissigestem jare an dem naͤhsten guͦtemtage nauch usgaͤnder osterwochen.

Rückvermerk:

Ordnung der Zunften zu Esslingen (frühneuzeitlich)

Überlieferung:

Ludwigsburg, StA, Best. B 169, U 585, Orig.; (Digitalisat), dt., Perg.

Kommentar:

Die hier erwähnte Möglichkeit für Juden, in einer Zunft mitzuwirken, muss wohl als Ausnahme angesehen werden, da eine Zunft in der Regel eine exklusiv innerchristliche Organisationsform darstellte. Die Verfestigung und Ausbreitung dieser exklusiv christlichen Organisationen gab somit einen weiteren Antrieb für die zunehmende Festlegung der Juden auf die offiziell als unchristlich angesehene Geld- und Pfandleihe; vgl. Haverkamp, Lebensbedingungen (1991), S. 18. Zwar war der Geldhandel während des späten Mittelalters die vorrangige Einkommensquelle der mitteleuropäischen Juden, doch wie das Esslinger Beispiel zeigt, darf dies keinesfalls den Blick dafür verstellen, dass es trotz dieses Primats weitere Formen der wirtschaftlichen Betätigung für Juden gab. Zur wirtschaftlichen Tätigkeit von Juden außerhalb der Geldleihe für die Zeit vor 1350 vgl. vor allem Maier, Tätigkeitsfelder (2010), und für die Zeit nach den Pestverfolgungen Toch, Tätigkeit (2003), die beide neben der Geldleihe ein weites Spektrum jüdischer Berufstätigkeit aufzeigen. Zur Möglichkeit der Partizipation von Juden an der Esslinger Gerber- und Pergamenterzunft schreibt neuerdings Haverkamp, Ebrei in Italia (2010), S. 80 f. (in Übers.): 'Die Mitwirkung der Juden in der christlichen Zunft erforderte also ausdrücklich keine Konversion. Dies bedeutete notwendigerweise die von den Juden gewollte Exklusion aus dem religiös-kultischen Kern der Zunft, ermöglichte aber eine rechtlich fixierte wirtschaftliche Kooperation zwischen Christen und Juden. Diese Esslinger 'Praxis' erschien offenbar auch für Reutlingen relevant. Dem muss ein Vertrag zwischen der 'politischen' Zunft und/oder dem christlichen Stadtrat und der Esslinger Judengemeinde zugrunde liegen. Eine derartige Partizipation dieser offenkundig selbst handwerklich tätigen Juden an den Zünften, die ihrerseits sowohl in Esslingen als auch in Reutlingen an der städtischen Führung beteiligt waren, dürfte auch den Status der Juden als Bürger der Stadt voraussetzen.'

(Christian Scholl und Jörg R. Müller) / Letzte Bearbeitung: 29.07.2020

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, KN01, Nr. 164, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/KN01/KN-c1-0060.html (Datum des Zugriffs)

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