Quellen zur Geschichte der Juden in der Stadt Köln (1273-1347)

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Stadt Köln 1, Nr. 13

1285 [vor Juni]

Der Zisterzienserabt Johann von Viktring schreibt in der wohl um 1339 entstandenen und bis 1341 ergänzten Rezension A seines Liber historiarum: In jenem Jahr [1284] (1) erschien am Niederrhein ein Mann, der sich als Kaiser Friedrich [II.] ausgab (… quidam, qui se diceret Fridericum imperatorem). In Köln wurde er von den Bürgern gefangen genommen und öffentlich gedemütigt, ehe ihm die Flucht gelang. (2) Anschließend kam er nach Neuss, wo er nach Art eines Königs Hof hielt und prächtige Feste feierte. Einige behaupten, dass Anhänger Rudolfs dies initiiert hatten und besonders die Juden, die ihm [Tile Kolup] unendlich viel Geld anboten und ihn in seinem unüberlegten Handeln dazu bewegen wollten, das Meer zu überqueren und ihnen ihr Reich zurückzugeben (Quod Rudolfo quidam a suis emulis asserunt procuratum et precipue a Iudeis, qui ei infinitas pecunias offerebant et eum in hac temeritate, quasi transiturus esset mare et regnum eorum eis redditurus, misere confovebant). (3)

In der 1342 entstandenen, deutlich gekürzten Rezension B1 schreibt Johann bezüglich der Involvierung der Juden lediglich: Am Niederrhein erhob sich jemand um Köln und Neuss (circa Coloniam et Nuzziam), der sich Kaiser Friedrich nannte. Mit größter Unterstützung durch die Juden hielt er wie ein Kaiser Hof (… Iudeorum maximo suffragio imperialiter curias celebravit, ..).

(1) Der Aufenthalt Tile Kolups in Köln könnte noch in das Jahr 1284 gefallen sein; in Neuss hielt er im Frühjahr 1285 Hof. Der Erzbischof von Köln belagerte entweder im März oder eher noch im Mai die Stadt Neuss, so dass die von Johann von Viktring berichtete finanzielle Unterstützung Tiles durch die Juden vor Juni 1285 stattgefunden haben muss; zur Datierung vgl. Erkens, Siegfried (1982), S. 264.

(2) Die Mehrzahl der Quellen berichtet, Tile sei aus Köln vertrieben worden. Eine Übersicht über die Quellen bietet Erkens, Siegfried (1982), S. 261 f., Anm. 6.

(3) Tile Kolup verließ aufgrund des vom Kölner Erzbischof ausgeübten Drucks Neuss und begab sich in die Stadt Wetzlar, deren Verhältnis zu Rudolf zu dieser Zeit getrübt war. Nach der Einigung zwischen dem König und der Stadt wurde Tile Kolup ausgeliefert und am 7. Juli 1285 hingerichtet; vgl. Redlich, Rudolf (1903), S. 532-538.

Überlieferung:

München, BStB, Clm. 22107, fol. 13v und 60v, Orig., lat., Papier; zur weiteren handschriftlichen Überlieferung vgl. Stelzer, Stamser Exzerpte (2005) (mit weiteren Literaturangaben).

Kommentar:

Johann, von 1312 bis zu seinem im Zeitraum zwischen 1345 und 1347 anzusetzenden Tod Abt des Zisterzienserklosters Viktring in Kärnten und zugleich einer der bedeutendsten Historiographen des 14. Jahrhunderts im Südosten des Reiches, war zeitweise Hofkaplan Herzog Heinrichs von Kärnten und später auch Herzog Albrechts II. von Österreich sowie Rat Patriarch Bernhards von Aquileja. Von seinem Liber certarum historiarum sind mehrere von Johann eigenhändig geschriebene oder zumindest korrigierte Redaktionsstufen vorhanden. Zu den einzelnen Fassungen vgl. Stelzer, Stamser Exzerpte (2005); Ders., Entdeckung (2004); Ders., Fragmente (2004); Ders., Neufund (2001) (jeweils auch mit der älteren Literatur), ferner auch Geschichtsquellen, [Art.] Liber certarum historiarum. In weiten Teilen wörtlich mit der Fassung B1 stimmt überein: Anonymi Leobiensis Chronicon. Allerdings geht der Anonymus über 1342 hinaus bis 1350. Es ist davon auszugehen, dass die bereits von Schneider im Rahmen seiner Edition des Liber certarum historiarum aus dem Anonymus Leobiensis exzerpierte Recensio D tatsächlich einer jüngeren Fassung von Johanns Liber entspricht. Vgl. Bassi, Johann von Viktring (1997). Zum Anonymus Leobiensis vgl. Geschichtsquellen, [Art.] Anonymus Leobiensis, Chronik (mit weiterer Literatur).

Neben der inhaltlichen Kürzung zwischen den nur etwa drei Jahre auseinander liegenden Rezensionen A und B1 fällt im konkreten Zusammenhang eine veränderte Sichtweise der Ereignisse auf: Während in der ersten Fassung dem falschen Friedrich Tile Kolup (= Dietrich Holzschuh) unermessliche Reichtümer geboten worden sein sollen, damit er das Heilige Land für die Juden zurückerobere, ist in der jüngeren Version lediglich noch die Rede davon, dass die Juden seine kostspielige Hofhaltung finanziell kräftig unterstützten. Der Wunsch der Juden, ins Heilige Land zu ziehen und das Angebot reicher Schätze erinnern an die Geschehnisse um Rabbi Meir, der beim Versuch, im Jahre 1286 das Reich zu verlassen und möglicherweise ins Heilige Land zu ziehen, gefangen genommen wurde und für dessen Freilassung eine sehr hohe Lösegeldsumme an König Rudolf bezahlt werden sollte; vgl. Mattes, Alltagsleben (2003), S. 25 f. (mit weiterführender Literatur). Möglicherweise kam es bei der ersten Niederschrift des Liber certarum historiarum zu einer Vermischung der Ereignisstränge.

(Jörg R. Müller) / Letzte Bearbeitung: 28.02.2023

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2016, KO01, Nr. 13, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/KO01/CP1-c1-01p8.html (Datum des Zugriffs)

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