Quellen zur Geschichte der Juden in den norddeutschen Bistümern (1273-1347)
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Norddeutschland 1, Nr. 272
1347 Dezember 6, Goslar
Der Rat der Stadt Goslar beurkundet, dass Abraham der Gute und dessen Sohn Asser nach dem zwischen ihnen herrschenden Zerwürfnis übereingekommen sind, dass keiner dem anderen, solange sie leben, Gewalt oder Unrecht antun soll, weder an Eigentum noch an Ehren. Hingegen soll jeder den anderen unterstützen und achten, so dass es sich unter Vater und Sohn wohl fügt. Namentlich soll Asser von seinem Vater Abraham kein Gut begehren und weder Gewalt, Anklage noch Unrecht antun. Dasselbe soll Abraham seinem Sohn Asser nicht antun, solange beide leben (We der .. rad der stat to Goslere bekennet in disseme openen breve, dat Abraham de juͦde unde Asser, sin sone (1), alsuͦs sint bericht der schellinge, de under on werende was, dat orer nen deme anderen, de wile dat se levet, nenerleye not noch unrecht schal don noch an gude noch an eren, sunder malk schal den anderen vorderen unde eren, alse dat under vadere unde under sone wol voghet; unde by namen ne schal Asser Abrahame, sineme vadere, nen erve to esschen noch nenerleye not noch ansprake noch unrecht don. Dat sulve ne schal Abraham Assere, sineme sonen, don, de wile dat se beyde levet). Sollte es aber dennoch zum Streit kommen, darf der eine den anderen mit drei rechtschaffenen Christen oder mit drei frommen Juden gerichtlich belangen. Der andere darf sich dann der Beschuldigung mit der gleichen Anzahl an Zeugen erwehren. Dies haben sie sich gegenseitig zugesichert (dede it aver darboven orer ienich deme anderen, des men on mit dren bederven kerstenen mannen eder mit dren vromen iuͦden overwinnen mochte, dat scholde in usen gnaden stan, wu men dat scholde wederdon. Mochte aver de andere sek der schulde weren mit liken tuͦghen, alse mit dren bederven kerstenen mannen eder mit dren vromen iuͦden, so enscholde he dar nene not umme lyden. Dit hebbet se ghewillekoret up beyden sit mit willen). Ferner soll der Rat die zehn Mark, die Abraham und Asser zu Lebzeiten bei ihm haben, wie folgt auszahlen: Jedem von ihnen fünf Mark jährlich, 2 1/2 zu Ostern (to paschen) und 2 1/2 zu Michaelis (to sante Michahelis daghe) (2), solange sie leben. Falls einer stirbt, soll der Rat dem anderen die 10 Mark in Gänze geben, 5 Mark zu Ostern und 5 Mark zu Michaelis, solange er lebt (Vordmer so schulle we der teyn mark gheldes, de desulven Abraham unde Asser to orer beyder liven mit os hebbet, orer jowelkeme vif mark des iares gheven, IIj to paschen unde IIj to sante Michahelis daghe, de wile dat se levet; unde welk orer afgeyt van dodes wegene, so schulle we deme anderen de X mark geld al geven, V mark to paschen unde V mark to sante Michahelis daghe, de wile dat se levet). Stirbt Abraham vor seinem Sohn Asser, hat Asser auf das, was er von seines Vaters Gut zu Recht bekommt, nicht zu verzichten. Wenn aber beide tot sind, dann sollen die ihnen zugewiesenen 10 Mark Geldes an den Rat und die Stadt ohne Widerspruch zurückfallen, und diese Urkunde soll von da an keine Gültigkeit mehr haben (unde storve Abraham er Asser sin sone, wat denne Assere van sines vader gude borde to rechte, des enheft he nicht vorwillekoret noch vorteghen. Unde wanne aver se beyde dot sint, so schullet de vorsprokenen X mark gheldes an os unde an use stat weder kemen ledich unde los ane yemdes wedersprake, unde disse bref ne schal denne nene macht hebben). Auch haben Abraham und sein Sohn Asser vor Gericht nach Judenrecht geschworen (3), dass sie zu Lebzeiten in Goslar bleiben wollen und niemals andernorts Wohnung nehmen wollen. Sollten sie ihren Eid brechen und wegziehen, sollen Rat und die Stadt Goslar von den besagten zehn Mark befreit sein, und diese Urkunde soll hinsichtlich dieser Leibrente keine Gültigkeit mehr haben (ok hebbet de vorbenomden Abram unde Asser sin sone dessen willekore vor gherichte dan unde hebbet ghesworen, alse iuͦdenrecht is, dat se willen den willekore holden, alse hir na bescreven steyd, dat se to Goslere ere levedaghe willen unde schullen bliven unde nimmer anderswor keren buten Goslere to wonende. Were dat se den ed breken unde anderswor voren to wonende, so scholden de vorbenomden teyn marc gheldes os unde unser stad denne ledich unde los sin, unde desse bref ne scholde denne van desser ghulde weghene vorder nene maght hebben). Ferner hat der Rat Abraham, seinen Sohn Asser und ihre beiden Ehefrauen unter seinen Schutz genommen. Wenn sie um irgendeinen Rechtsbruch gegen den jetzigen oder künftigen Rat angeklagt werden, soll man sie zur Stellungnahme vorladen. Möchten sie sich verantworten, soll man ihnen das gestatten. Es sei denn, der Bruch wäre so offenbar, dass es dem Sitzenden Rat und den Weiseren, die man zum Rat einzuladen pflegt, so vorkommt, dass sie den Bruch selbst verschuldet haben. Dann sollen sie darum verhandeln nach des Rates Gnaden (vordmer so heb we Abrame unde Assere sinen sone unde erer beyder husvrowen in use beschermnisse nomen alsuͦs, ef se umme yengherleye broke teghen os eder teghen use nakomelinghe beseghet eder besproken worden, dar scholde men se umme to andworde umme komen laten. Mochten se de broke (4) vorandworden, alse recht is, des scholde men en staden, it ne were denne, dat de broke also witlic unde openbare were, dat deme sittenden rade unde den wiseren (5), de se to deme rade to vorbodene pleghet, duchte, dat se broke vorschuld hedden. Dar scholden se denne umme deghedinghen na des rades gnaden). Auch begünstigt der Rat Abraham und seinem Sohn Asser wie folgt: Sie und ihre beiden Ehefrauen zuerst und danach die Juden Jordan von Quedlinburg, Gadzim, Mosseke von Einbeck und Meir, ihre Schwäger (6), der Sohn Symeke Kalekes (7) sowie deren Ehefrauen und alle ihre jetzigen und künftigen Kinder sollen vom Schulzins (8) befreit sein, solange Abraham und sein Sohn leben. Die übrigen in Goslar lebenden Juden und die, die Interesse daran haben, dort zu leben, oder die noch kommen, die sollen derselben Gnade wegen zum Schulzins nicht mehr geben als zwei feine Mark (ok hebbe we Abrame unde Assere sineme sone disse gnade unde gunste dan, dat se unde erer beyder husvrowen tovoren unde darna Jordan van Quedelingheborch, Gadzim, Mosseke van Embeke unde Meygher, ere swegere, Symeke Kaleken sone unde ere husvrowen unde alle ere kindere, de se nu hebbet unde en noch werden moghen, scholet scholetinses vry sin, de wile dat Abram unde Asser sin sone levet; unde wat hir anderer ghemeynen iuͦden wonet unde noch her mit os to wonende quemen eder komet, de scholet van desser selven gnade weghene nicht mer to scholetinse gheven wenne two lodeghe mark). Geschieht es aber, dass dieselben gemeinen Juden Abraham und seinem Sohn irgendwelche Gewalt und Beschwerde antun, so kann der jetzige oder künftige Rat, davon in Kenntnis gesetzt, von den gemeinen Juden gegebenenfalls einen größeren Zins als die zwei Mark für die Schule nehmen (were aver, dat desuͦlven ghemeynen iuͦden Abrame unde Assere sineme sone yenghen sulfwold unde unlust deden, wanne se os eder usen nakomelinghen dat weten leten, so mochte we van den ghemeynen iuͦden wol groteren tins wen two marc von der schole nemen).
Na goddes bord dusent drehundert iar in deme seveneundeverteghesten (9) iare, in sante Nycolaus daghe, des hylgen byschopes. (10)
(1) Abraham der Gute ist nochmals belegt in Urkunden für seinen Sohn vom 9. August 1354 (###NO-c1-0034###) und 26. September 1356 (###NO-c1-0035###) sowie in der Urfehde seines Sohnes vom 26. September 1356 (nur hier als schon verstorben gekennzeichnet) (###NO-c1-0036###). Möglicherweise ist er identisch mit dem ansonsten nicht weiter spezifizierten Abraham der Judenbriefe vom 6. Dezember 1334 (NO01, Nr. 161) oder 16. Oktober 1339 (NO01, Nr. 206). Sei Sohn Asser ist über die oben genannten Schriftstücke hinaus noch in einer Urkunde für seine Witwe vom 8. Mai 1358 (###NO-c1-0038###) belegt. Er ist demnach wohl kurz nach seinem Vater zwischen den beiden letztgenannten Daten verstorben.
(2) September 29.
(3) Zum Eid nach Judenrecht vgl. das Goslarer Stadtrecht (NO01, Nr. 128 sowie ###NO-c1-003d###).
(4) Der Passus von Ok hebbet de vorbenomden Abram unde Asser bis Mochten se de broke steht als mit dreiseitiger Umrandung (kastenförmig) gekennzeichneter Einschub an anderer Stelle, die genaue Platzierung im Urkundentext wird durch Markierung zugewiesen. Der Eintrag nutzt ab Beginn den sonst üblichen äußeren freien Seitenrand mit.
(5) Zu den wiseren s. Feine, Goslarischer Rat (1913), S. 113.
(6) Schwäger kann auch Schwiegersöhne heißen.
(7) Die Namen Jordan von Quedlinburg und Symeke Kalekens Sohn sind beide ausradiert (gegebenenfalls weil sie bei einer späteren Durchsicht oder der Erneuerung der Urkunde - s. Anm. 9 - nicht mehr lebten, nicht mehr in Goslar ansässig waren oder die Befreiung vom Schulzins nicht mehr für sie erwirkt worden war), so dass die Buchstaben nur schwach hervortreten und beim zweiten Namen die Richtigkeit der Lesart zweifelhaft ist. Jordan von Quedlinburg ist aus einem Judenbrief vom 22. Februar 1340 bekannt (NO01, Nr. 212). Mosseke von Einbeck könnte der 1332 belegte Schwager des Jakob sein (NO01, Nr. 149), angesichts der Häufigkeit des Namens ist das aber fraglich. Gadzim könnte den im Zusammenhang mit Asser 1356 genannten Gaddesim (###NO-c1-0035###) meinen. Die übrigen namentlich benannten Juden sind nicht weiter für Goslar belegt.
(8) Der Begriff scholetinses meint den Pachtzins für die Judenschule (Synagoge) im Gosewinkel; vgl. NO01, Nr. 187. Die im Folgenden genannten zwei Mark scheinen die gesamte jährliche Pacht für die Nutzung der Synagoge gewesen zu sein. Sie wurden auf die Mitglieder der Gemeinde, sofern nicht befreit, umgelegt.
(9) UB der Stadt Goslar 4, Nr. 319, S. 219 f., geht davon aus, dass die Zahl sevene und das Tagesdatum auf Rasur stehen, wobei es sich auch um einen Wasserschaden handeln könnte. Da die Urkunde in der streng chronologischen Reihenfolge des Verwaltungsbuchs (fol. 116 f.) unter den Schriftstücken des Jahres 1342 erscheint, geht der Bearbeiter von einer Ausstellung der Urkunde im Jahre 1342 aus, die 1347 erneuert worden sei. Weshalb die Urkunde jedoch nach etwa fünf Jahren nochmals ausgestellt wurde, bleibt unklar.
(10) Der Eintrag ist komplett gestrichen. Dem Eintrag geht am Rand in kleinerer Schriftgröße (aber wohl nicht anderer Hand) voran: Contractus Abraham et Asser filii sui.
Überlieferung:
Goslar, StadtA, B 825, fol. 116v-117r, Nr. 362, Abschr. (1. Hälfte 14. Jh.), dt., Perg.
- UB der Stadt Goslar 4, Nr. 319, S. 219 f.
- Lange, Geschichte (1994), S. 31 f.;
- GJ 2, 1, S. 284 f. und 288.
Kommentar:
Zum Verwaltungsbuch vgl. NO01, Nr. 100.
(Johannes Deißler) / Letzte Bearbeitung: 19.05.2021
Zitierhinweis
Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, NO01, Nr. 272, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/NO01/NO-c1-0032.html (Datum des Zugriffs)
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Einleitung
Ausführliche Informationen zu Juden in den norddeutschen Bistümern finden Sie demnächst in der Einleitung von Johannes Deißler.
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