Quellen zur Geschichte der Juden in den norddeutschen Bistümern (1273-1347)

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Norddeutschland 1, Nr. 66

1309 November 27, Osnabrück

Bischof Engelbert von Osnabrück (Engelbertus dei gratia Osnaburgiensis ecclesie electus et confirmatus) macht bekannt, dass er die Schöffen der Stadt Osnabrück (viros discretos .. scabinos nostre civitatis Osnaburgiensis) gebeten hat, zusammen mit ihm die in Osnabrück lebenden Juden zu schützen und gegen alles Unrecht und Gewalt zu verteidigen (iudeos nostros in civitate nostra Osnaburgiensi morantes, nobiscum protegant et defendant pro omni iniuria et violentia ipsis judeis quomodolibet inferanda).

Die zu beschützenden Juden werden namentlich aufgeführt: Isaak mit seiner Familie, Ayka mit ihrer Familie, Natan mit dem krummen Fuß und seine Familie, Lozan mit seiner Familie, die zwei Jakobs, die mit Lozans Töchtern verheiratet sind, Jakob von Minden, und der taube Jude, der Gatte seiner Tochter, namens Abraham, Rebekka mit ihrer Familie und ihre verwitwete Tochter Genta mit ihrer Familie, Aaron und der Gatte seiner Tochter und der kleine Natan (Ysaac cum familia sua, dominan [A 2: dominam] Aykam [A 2: Agicam] (1) cum familia sua, Natan [A 2: Nathan] cum curvo pede et suam familiam, Lozan cum sua familia, duos Jacobos, qui habent filias Lozan (2), Iacobum de Minda et surdum iudeum maritum filie eiusdem, Abraham, Rebeccam [A 2: Rebeckam] cum familia sua, item filiam eius viduam Gentam [A 2: Gertan] (3) cum familia sua, Aaron et maritum filie sue et parvum Natan [A 2: Nathan]).

Engelbert fordert die Schöffen der Stadt auf, auf Rechtsverletzungen von ihm, seiner Offizialen und irgendwelcher anderer zu achten und diese zu verhindern (Arbitramur etiam, quod si nos aut officiales nostri aut aliqui alii dictis iudeis iniuriari vellemus, quod absit, .. scabini predicti cavebunt et inpedient, ne eisdem iudeis huiusmodi iniuria inferatur). Bei Vergehen von Juden bestimmt der Bischof Folgendes: Wenn ein Jude einen anderen Juden in seiner Synagoge oder ein Jude einen Christen ohne scharfe Waffen angreift und dies von einem Juden oder einem christlichen Bürger Osnabrücks mit guter Reputation bezeugt werden kann, ist eine Geldstrafe von zwölf Mark in Osnabrücker Pfennigen an den Bischof zu zahlen (De excessibus autem iudeorum taliter ordinamus: si iudeus intra synagogam suam (4) percutit iudeum vel [A 2: aut] iudeus christianum sine armis acutis, et hoc probari poterit per unum iudeum et [A 2: gestrichenes aut mit et über der Zeile] unum christianum civem Osnab[urg]ensem, quem scabini [A 2: iudei] reputent bone fame (5), pro tali excessu nobis dabit reus XII marcas denariorum Osnaburgiensium). Bei einem Angriff in einem Haus - sei es das Haus eines Juden oder eines Christen - oder auf offener Straße, der von zwei Bürgern guter Reputation bestätigt werden kann, verringert sich das Bußgeld auf sechs beziehungsweise vier Mark (Et si percutiat iudeus iudeum vel iudeus christianum in domo iudeorum aut christianorum, quod probari possit duobus civibus, quos .. scabini reputent bone fame, pro tali excessu nobis dabit [A 2: dabit nobis] reus sex [A 2: VI] marcas denariorum Osnaburgiensium. Si vero judeus in platea publica percutiat judeum vel christianum, quod probari poterit per duos cives Osnaburgenses similiter bone fame iudicio .. scabinorum, pro tali excessu dabit nobis reus quatuor marcas denariorum Osnaburgiensium). Sollte aber ein Angriff solcher Art mit einer scharfen Waffe stattfinden oder sollte er einen tödlichen Ausgang haben, kann sich der Angeklagte nicht auf diese Weise befreien, sondern muss sich dem allgemeinen Recht des Landes und der Diözese unterwerfen (Si autem percussio huiusmodi fiat armis acutis aut ex ipsa percussione quocunque modo mors inferatur, tunc reus non predicto modo emendabit, sed iuri communi terre et nostre diocesis subiacebit). Bei ehrverletzenden Beschimpfungen unter Juden innerhalb der Synagoge muss eine Jüdin, die von zwei Juden überführt worden ist, dem Bischof ein halbes Ohm guten Weins als Strafe geben, ein männlicher Jude gibt bei gleichem Tatbestand das Doppelte (Item, si iudea dixerit convicia seu oppr[obria] [ergänzt nach A 2] alteri iudee in synagoga [A 2: sinagoga] , que vergunt in preiudicium honoris ipsius, rea convicta duobus iudeis dabit nobis pro huiusmodi conviciis dimidiam amam boni vini. Et si iudeus iudeo in synagoga dixerit opprobria et convicia, que vergunt in preiudicium honoris ipsius iudei, reus convictus dabit nobis unam amam boni vini).

Dies soll ab dem kommenden Fest der Reinigung Marias an zunächst für vier Jahre lang Gültigkeit haben (Presentibus a festo Purificationis beate Marie (6) nunc proximo post quatuor annos sequentes minime valituris).

Datum Osembrugge [A 2: Osenbruege] anno domini MᵒCCCᵒ nono, feria Vᵃ [A 2: quinta] post festum beate Katerine virginis [A 2: ohne virginis] .

(1) Aykam, vermutlich vom weiblichen Vornamen Ayke resp. Eydl, ist gegenüber der Schreibung Agicam der Vorzug zu geben. S. Beider, Dictionary (2001), S. 497-499 (mit Belegen). GJ 2, 2, S. 636, Anm. 21 vermutet in ihr Aleka, die inzwischen verwitwete Gattin des Jakob von Osnabrück (KS01, Nr. 32). Die Lesung des vorangehenden dominan/dominam muss nicht - wie durch die Bearbeiter des Osnabrücker UB vorgeschlagen - durch die Variante dictam ersetzt werden.

(2) Der filias nachfolgende Name (Lozan) ist als Genitiv aufgefasst, der die Töchter näher charakterisiert und auf den kurz zuvor Genannten zurückgreift. Alternativ könnte man auch davon ausgehen, dass mit Lozan ein weiterer begünstigter Jude benannt wird und zwischen filias und Lozan ein Komma zu setzen wäre. Dem widerspricht der Umstand, dass dann zwei nicht näher spezifizierte Juden namens Lozan im Dokument auftauchen würden. Kühling, Juden (1969), S. 15-17 und mit ihm Asaria, Juden Niedersachsen (1979), S. 301 f. haben die beiden filias nachfolgenden Namen auf diese Töchter bezogen. Nun sind aber Lozan (Losan, Lozen resp. Elozer) wie auch Jakob männliche Vornamen, so dass sie filias zu filios korrigiert haben. Da beide Abschriften einmütig filias haben und eine Verschreibung unwahrscheinlich ist, ist dieser Ansatz zu verwerfen.

(3) Gentam, vom weiblichen Vornamen Yentl, ist gegenüber der Schreibung Gertan (vielleicht von Gerin) der Vorzug zu geben. S. Beider, Dictionary (2001), S. 509 und 596 f. (mit Belegen). Beide Abschriften legen in ihrer Gestaltung nicht zwingend nahe, das direkt vorangehende viduam mit Gentam zu verbinden. Es bleibt also unsicher, ob Genta die verwitwete Tochter der Rebekka namentlich benennt oder eine andere Begünstigte bezeichnet.

(4) Ersterwähnung der Osnabrücker Synagoge.

(5) Während in der Abschrift A 1 die Schöffen darüber urteilen, ob ein Bürger eine gute Reputation besitzt und damit als Zeuge geeignet ist, findet sich in Abschrift A 2 (allein in diesem Zusammenhang) die Abweichung, dass den Juden diese Einschätzung zusteht. Da in beiden Urkundenabschriften aber ansonsten immer die Schöffen die Kriterien für den guten Ruf der Zeugen bestimmen, dürfte die Abschrift A 2 in diesem Punkt fehlerhaft sein.

(6) 1310 Februar 2.

Überlieferung:

Osnabrück, LA, Dep. 3 a 1 III C, Nr. 37a (A 1), Abschr. (zeitgleich), lat., Perg.; ebd, Nr. 37b (A 2) (zeitgleich).

  • WJ 1, Nr. 56, S. 75.

Kommentar:

Der Schutzbrief von 1309 wurde für zehn Personen respektive Familien ausgesprochen, was zeigt, dass die Judengemeinde zu dieser Zeit in Osnabrück sehr überschaubar gewesen ist. Engelbert sichert den Juden umfangreichen Schutz durch sich und die Schöffen der Stadt zu, mit dem ungewöhnlichen Zusatz, dass man sie im Zweifelsfall sogar gegen ihn und seine eigenen Offizialen verteidigen solle. Das Vorgehen bei durch Juden verübten Verbrechen, genauer bei Körperverletzung, Totschlag/Mord und Ehrverletzung, ist klar geregelt. Im überlieferten Dokument selbst wird nicht festgehalten, welche Summe die Juden für den Schutz jährlich an Bischof und Stadt abzugeben haben. Da der Schutzbrief eine Laufzeit von vier Jahren hatte, lässt sich vermuten, dass es eine nicht überlieferte Verlängerung Ende 1313 beziehungsweise Anfang 1314 gegeben hat, zumal eine (weitere) Verlängerung aus dem Jahre 1317 (NO01, Nr. 83) vorhanden ist.

Überliefert ist der Schutzbrief von 1309 in zwei zweitgleichen Abschriften (A1 und A2 benannt), die sich weitgehend gleichen. Abweichungen sind dokumentiert.

(Johannes Deißler) / Letzte Bearbeitung: 04.05.2021

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, NO01, Nr. 66, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/NO01/NO-c1-003h.html (Datum des Zugriffs)

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