Quellen zur Geschichte der Juden in den norddeutschen Bistümern (1273-1347)

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Norddeutschland 1, Nr. 89

1319 April 24, Osnabrück

Eintrag im ältesten Osnabrücker Stadtbuch:

Die Schöffen der Stadt Osnabrück bekunden, dass sie wegen verschiedener Schäden der Stadtbürger und Klagen anderer Leute (dor manigvolden schaden der borgere in der stat unde oc dor clage andere lude) mehrere Statuten festgesetzt haben:

[1.] Kein Jude soll in seinem Hause Pferde als Pfand halten. Werden ihm Pferde als Pfand gestellt, so soll er sie in das Haus eines Bürgers gegen die in den Herbergen übliche Futtervergütung einstellen (… dat nin iode en sal perde holden in sinen hus to pande oppe scaden. Werdet enen ioden perde to pande geseth, de sal he stallen in enes borgeres hus to ettinge gelik enen herbergire).

[2.] Jeder Jude soll nicht mehr Zins als einen Pfennig von der Mark je Woche nehmen (Unde en iewelic iode sal nicht mer nemen to schaden van allerlege panden dan to der weken van der marck enen pennink). (1)

[3.] Der Jude, der diese Anordnung übertritt, soll für jede Übertretung eine Mark für die Stadtbefestigung zahlen und hierin keinen Erlass erhalten (Welik iode hir an brokhaftig wert, also dicke als he brikt, also dicke sal he geven ene marck inde muren unde nine genade). (2)

[4.] Wenn ein Christ ein Pferd als Pfand nimmt oder mit einem Juden [wegen der Einstellung eines Pferdes] ein Abkommen trifft und dabei die Futterkosten höher rechnet als den Herbergssatz, so soll er ebenfalls für jede Übertretung eine Mark für die Stadtbefestigung zahlen und keine Gnade erfahren (Were dat sake, dat en karsten en pert to pande helde ofte mit enen ioden to plichtede unde de ettinge hoger rekende dan en herbergere, he sal oc geven also dicke als he brikt ene maric in de muren unde nine genade). (3)

[5.] Den straffälligen Juden soll man mit dem Zeugnis von zwei Juden oder zwei Christen oder eines Juden und eines Christen überführen. Wenn der Jude aber bei dem alten Eid der Juden schwören will, so bleibt er frei, sofern man es ihm nicht durch Zeugen beweisen kann (dissen brochaftigen ioden sal men vorwinnen mit tuge tvier ioden ofte tvier karstenen ofte mit enen ioden unde mit enen karstenen. (4) Wil aver de iode sveren bi den alden ede der ioden (5), he blivet quit, ofte men en nicht vortugen kan (6)).

[6.] Die Schöffen schwören, diese zwei vorerwähnten Stücke vom Totschlag und von den Juden ewig zu halten. Das gilt auch für künftige Ratsmitglieder. Ausscheidende Mitglieder sollen den Eid von denen fordern, die ihnen nachfolgen (Disse tve vorgenomeden stucke (7) van dotslage unde van den ioden to vestene unde ewelike to holdene, hebbe wi schepenen gelovet unde gesworen. Unde de na uns gekoren werdet in den rath, de solen dit och loven unde sweren. De schepenen, de to tiden ut den rade gath, de sun den eth eschen van den anderen, de dar in gath).

Disse dinc de sin geschen unde vulendet na der bort Godes dusent iar drehunder(t) iar unde negentin iar des nagesten dages sunte Georgius. (8)

(1) Die Schöffen Osnabrücks erneuern damit den bischöflichen Höchstzinssatz von 1312 (NO01, Nr. 73) unverändert.

(2) Für eine Zuwiderhandlung gegen das Maximalzinsgebot - hiran bezieht sich wohl in erster Linie auf diese Regelung - wird allerdings ein anderes Strafmaß festgesetzt. Anders als in 1312 werden nicht mehr 5 Mark fällig, die jeweils hälftig an Bischof und Stadt zu zahlen sind, sondern nur noch 1 Mark, die zudem für Ausbau und Instandhaltung der Stadtbefestigung zu verwenden ist.

(3) Das Gebot, dass Juden als Pfand gestellte Pferde, bei Christen einstellen müssen, wird zugunsten der Juden insofern abgesichert, dass unter Strafe über den in Herbergen dafür gültigen Vergütungssatz nicht hinausgegangen werden darf.

(4) Die Regelung erscheint der unterschiedlichen Zeugenzahl wegen inkonsequent, will aber wohl die Gleichrangigkeit der jüdischen und christlichen Zeugen betonen.

(5) Der Judeneid galt also im Jahr 1319 bereits als 'alt' (alde ede der joden), das legt nahe, dass seine Aufzeichnung um 1300 (NO01, Nr. 47) bereits bestehenden Usus schriftlich fixierte.

(6) Die Worte vortugen kan sind am Rande nachgetragen.

(7) Gemeint ist ein vorhergehender Erlass.

(8) Der Eintrag, der zwischen 1340 und 1350 in das Stadtbuch eingetragen wurde, wurde um 1400 mit der Überschrift Van den joden versehen (Angaben nach Älteste[s] Stadtbuch Osnabrück, Nr. 9, S. 21).

Überlieferung:

Osnabrück, LA, Dep. 3 b IV, Nr. 345, S. 44-46, Abschr. (etwa 1340-50), dt., Perg.

Kommentar:

Das älteste Osnabrücker Stadtbuch (oder Statutenbuch), ein Pergamentkodex, erhielt seine ersten Einträge im Jahr 1297. Da die Seiten zunächst verschwenderisch verwendet wurden und für jeden weiteren Eintrag eine neue Seite angelegt wurde, bot das Pergament späteren Schreibern ausreichend Platz für Nachträge auf teilweise frei gebliebenen Seiten. Es fehlt dem Stadtbuch deshalb an einer Übersichtlichkeit schaffenden chronologischen Ordnung. Das ist mit ein Grund dafür, dass es ab 1500 nur noch vereinzelt Eintragungen erfuhr. Der letzte Eintrag erfolgte im Jahr 1622. Das Stadtbuch darf als Hauptquelle der städtischen Verhältnisse im Mittelalter gelten, manches ist ausschließlich dort überliefert. Zum Stadtbuch vgl. Älteste[s] Stadtbuch Osnabrück, S. XIII-XX.

(Johannes Deißler) / Letzte Bearbeitung: 04.05.2021

Zitierhinweis

Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich, hg. v. Alfred Haverkamp und Jörg R. Müller, Trier, Mainz 2020, NO01, Nr. 89, URL: https://www.medieval-ashkenaz.org/NO01/NO-c1-003y.html (Datum des Zugriffs)

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